Foto: "Phantom (Ein Spiel)" am Nationaltheater Mannheim. Carmen Witt, Julius Forster, Almut Henkel, Boris Koneczny, Sabine Fürst © Hans Jörg Michel
Text:Manfred Jahnke, am 18. September 2015
Irgendwo in einer deutschen Stadt wird in einem Hamburger-Restaurant ein ausgesetztes Baby gefunden. Da die Angestellten zuletzt eine südländisch aussehende Frau – wahrscheinlich eine Romni – gesehen haben, scheint der Fall ziemlich klar. Virtuos spielen Lutz Hübner und Sarah Nemitz in ihrem neuen, am Nationaltheater Mannheim uraufgeführten Stück „Phantom (Ein Spiel)“ mit deutschen Vorurteilsstrukturen, die dann mit der Geschichte der „Blanca“ konfrontiert werden. Sie ist aus Bulgarien nach Deutschland gekommen, um zu arbeiten, vermittelt über ein Familienmitglied, das aber bei der Ankunft der jungen Frau nicht da ist, so dass diese sich allein durchschlagen muss.
In immer neuen Spielanordnungen, die auch kommentiert werden, um den Spielcharakter deutlich zu halten, zeigt das fünfköpfige Ensemble in ständig wechselnden Besetzungen, wie „Blanca“ sich mit Würde gegen alle Bemühungen, sie in ihrer Situation auszunutzen, behauptet. Dazu kontrastiert sie der Autor mit der Geschichte der schwangeren Annika aus dem deutschen Prekariat, die nicht die Kraft zu eigenem verantwortlichen Handeln findet und das neu geborene Kind schließlich aussetzt. Zu den Stärken dieses neuen Stückes gehört, dass es dem Publikum durch „Lücken“ die Möglichkeit zur Überprüfung seiner eigenen Haltung einräumt. Dazu trägt auch die Spielvereinbarung bei, die fünf forschende Schauspieler zeigt, die immer wieder neu einsteigen, Vermutungen anstellen, sich streiten, neue Konstrukte entwerfen, dabei allerdings manchmal auch das erkenntnisleitende Interesse aus dem Auge verlieren.
Auf einer ganz nah an das Publikum herangezogenen Bühne, die durch Neonlichtkonstruktionen dreifach räumlich strukturiert ist und auf der alle für das Spiel wichtigen Requisiten an den Bühnenwänden stehen (Bühne und Kostüme: Thea Hofmann-Axtheim) entwickelt die Regie von Tim Egloff eine temproreiche Inszenierung, die wie im klassischen Erzähltheater mit wenig Andeutungen bei den Rollenwechseln auskommt. Zu Beginn lässt er die Spieler frontal zum Publikum sitzen. Hamburger kauend und Cola trinkend glotzen sie das Publikum an: Wir sind es, die hier verhandelt werden. Auch in den folgenden Handlungen suchen die Spieler immer wieder den Augenkontakt mit den Zuschauern.
Wesentlich lebt „Phantom (Ein Spiel)“ – wie immer bei Hübner/ Nemitz – vom Spiel der Schauspieler. Wenn auch die Spiel-Dramaturgie immer wieder Distanzierung ermöglicht, gelingt es Carmen Witt als „Blanca“, berührende Momente herzustellen. In ihrer Darstellung formen sich weiche Durchlässigkeit und das Pochen auf Würde zu einer optimistischen Haltung, die von sehnsuchtsvoller Träumerei nicht weit ist. Sabine Fürst spielt als Annika eine Frau voller Ängste und Komplexe, eine, die sich nicht zu helfen weiß und sich doch egoistisch zu behaupten versucht. Stark wie sie diese widerstreitenden Gefühle und Haltungen auszustellen vermag. Almut Henkel hat insbesondere als bulgarische Großmutter große Momente. Julius Forster und Boris Koneczny haben die meisten Rollenwechsel zu meistern, sie tun das mit einem Gefühl für präzises Timing und Rhythmus.
Unschwer, vorher zu sagen, dass dieses Stück seinen Weg auf die Bühnen des Landes finden wird.