Foto: Szene aus "pest" von Konstantin Küspert am Theater Regensburg © Jochen Quast
Text:Manfred Jahnke, am 23. November 2015
Als sein „Alleinstellungsmerkmal“ sieht der junge Autor Konstantin Küspert, dass er in seinen Stücken „immer eine Verknüpfung von Wissenschaft und Theater habe“, wie er in einem Interview sagte. In der Tat versucht er in „pest“ modellhaft die „Quanten-Multiversum-Theorie“ in theatrale Handlungen umzusetzen. In dieser Theorie, die davon ausgeht, dass jede menschliche Entscheidung neue Welten schafft, die Welt selbst aus einer unüberschaubaren Zahl von Parallelwelten besteht, in der alles gleichzeitig stattfindet, Vergangenes wie Gegenwärtiges. Jede Entscheidung, die zu treffen ist, schafft Konsequenzen und eine neue Parallelwelt. Das erinnert ein wenig an der Determination des Menschen in naturalistischen Dramen, auch wenn diese Vielweltentheorie zusammen mit der Chaostheorie scheinbar existentialistische „Freiheit“ verspricht.
In der Versuchsanordnung von Konstantin Küspert dreht sich die Handlung um eine sich wiederholende Szene auf dem Fußballplatz. Angus will seinem Sohn Georgios unbedingt zum Profi-Fußballer aufbauen, der aber lieber etwas Richtiges lernen möchte. Aber der Vater bricht den Willen seines Sohnes, schleppt ihn zu einem Arzt, der ihn mit Medikamenten voll pumpt. Georgios beginnt zu trinken, verschwindet nach seinem Absturz, um am Ende als führender Terrorist in einem total zerstörten Europa zu agieren. Aber auch der Gegenentwurf in der Welt 2, in dem Georgios sich gegen seinen Vater durchsetzt und eine Karriere als Physiker macht, endet in der Katastrophe: eine Kernschmelze, die weite Landstriche verwüstet. Beide Welten sind über den Begriff der Verantwortung verknüpft: während Georgios als Physiker die Verantwortung für sein Handeln übernimmt, läuft er als gebrochener Mann in der Welt 1 in die Leere, verwandelt diese in eine Haltung des Rächers.
Im Textbuch bindet Küspert die Szenen in konkrete Orte ein und versieht sie mit genauen Jahreszahlen. Darüber hinaus gibt es lange Beschreibungen der Katastrophenszenarien und dokumentarisch wirkende Collagen. Für eine Regie kein leichtes Unterfangen, diese Textsammlung in eine szenische Form zu bringen. In ihrer Inszenierung hat Katrin Plötner sich zusammen mit ihrer Bühnenbildnerin Anneliese Neudecker für eine fast leere Bühne entschieden, in der alles aus dem Spiel des Ensembles heraus entstehen muss. Nach vorne hin rückt eine Art durchsichtiger Gazevorhang das Geschehen in eine traumhafte (oder traumatische?) Ferne, nach hinten ist der Raum durch eine schwarze Wand mit zwei Durchbrüchen abgeschlossen. Eine weitere Wand wird von den Spielern von rechts nach links bewegt. Bei den Katastrophenszenarien weht weißer und schwarzer , manchmal auch blauer Plastikmüll über die Bühne.
In der gestrafften Textfassung von Plötner wird das Geschehen entertainerhaft geformt. Drei Schauspieler (Sina Reiß, Patrick O. Beck und Michael Haake) in goldenen Jacken plaudern über ein Standmikro fast beiläufig, schauen zu, wie Angus, von Ulrike Requadt gespielt, seinen Sohn (Jacob Keller) fertig macht. Im Folgenden werden Rollen schnell gewechselt, das macht dieses Ensemble grandios. Konsequent wird auch das Entertainment durchgehalten, aber mit einer Konsequenz: Die brutalen Bilder, die beim Lesen entstanden, wollen sich beim Zuschauen nicht einstellen. Vielleicht rächt sich denn da die Entscheidung, die Macht der Medien, selbst die brutalsten Kriege in Unterhaltung umzuwandeln, auf der Bühne thematisch zu machen?