Foto: Dan Karlström als Veit © Kirsten Nijhof
Text:Ulrike Kolter, am 30. Oktober 2022
Die deutsche Erzählung „Undine“ von Friedrich de la Motte Fouqué hat es zwar ebenso wie ihr tschechisches Mythen-Pendent „Rusalka“ in die Opernliteratur geschafft, allerdings wird Antonín Dvořáks Erfolgsstück bis heute zurecht viel gespielt, während Albert Lortzings romantische Zauberoper „Undine“ kaum je in den Spielplänen zu finden ist.
Und das, obwohl Wassernymphen und des Menschen Liebe zu diesen fremdartigen Wesen schon immer ein lohnender dramatischer Stoff war – in der Literatur wie in der Ballett-Welt. Nun also sorgt der im Sommer gestartete Opern-Intendant Tobias Wolff für eine kleine Lortzing-Renaissance in Leipzig – erfreulicherweise, denn neben Wagner, Bach oder Mendelssohn Bartholdy hat auch Albert Lortzing das Musikleben der Stadt geprägt, war hier Kapellmeister und hat viele seiner Opern in Leipzig geschrieben und uraufgeführt, so auch den „Wildschütz“ und „Zar und Zimmermann“.
Abstraktion statt Wasserwelten-Romantik
Seine „Undine“ (uraufgeführt 1845 in Magdeburg) nennt sich zwar romantische Zauberoper, entpuppt sich nach ihren gut drei Stunden aber eher als dialogreiche Spieloper mit wenig romantischen Zügen, erst recht, weil Regisseur Tilmann Köhler den überwiegend ins Publikum parlierenden Figuren jegliche Märchenhaftigkeit austreibt. Auf der mit blauen Vorhängen umgebenen Bühne von Karoly Risz thront eine überdimensionale, zumeist rotierende Holztreppe in Fischgrätenmuster; sie bildet die abstrakte Lebenswelt des Fischerpaares Tobias und Marthe und ihrer Ziehtochter Undine – alle ebenso in heutigem Stilmix gekleidet wie die übrige Gesellschaft: bunt und unvorteilhaft kurzbehost, ein tumbes Völkchen, an der Nase herumgeführt von seinen Herrschenden (Kostüme: Susanne Uhl) und fröhlich dem Wein zugeneigt wie sie.
Über allen Liebeswirren um Undine und ihren Ritter Hugo steht das Experiment des Wasserfürsten Kühleborn, der seine Tochter Undine einst als Kind mit der Herzogstochter Bertalda vertauscht hatte, um die Menschen auf die Probe zu stellen. Wassernixen können nämlich nur beseelt werden, wenn ein Mensch sie aufrichtig liebe – und das ist bei Männern (natürlich nur in der Opernliteratur) bekanntlich so eine Sache… Es kommt, wie es kommen muss: Der wankelmütige Hugo lässt sich von seiner Verflossenen Bertalda verführen, Undine muss unglücklich zurück ins Wasserreich – und Kühleborns Fluch trifft Hugo.
Einzige Erkenntnis: Im Wein liegt Wahrheit
Dazwischen fließt sehr viel Wein, lauschen wir romantischen Liebesbeteuerungen und philosophischen Abhandlungen über den Begriff der Seele, über Treue und Männlichkeit. Lortzing als sein eigener Librettist, der er übrigens schon vor Richard Wagner war, spannt in seiner „Undine“ den Bogen groß – und endet doch meist in der plumpen Erkenntnis: „Im Wein ist Wahrheit nur allein.“
Womöglich hat das künstlerische Team um Tilmann Köhler dies als Parodie ernster genommen, als man auf den ersten Blick glauben mag und der Naivität des Plots bewusste Überzeichnung entgegensetzt. Damit bleibt den Figuren Raum zur musikalischen Entfaltung: Unter der Leitung von Christoph Gedschold läuft das Gewandhausorchester zu romantisch-üppiger Höchstform auf, wenngleich die teils schwelgenden Tempi gelegentlich zu Ungleichheiten zwischen Bühne und Graben führen – und Matthias Stier als Hugo in exponierten Stellen unnötig zu kämpfen hat. Ansonsten gibt er die Mammut-Partie mit schönen Bögen und tenoralem Schmelz, ein Jüngling allerdings, mit dem man eher Mitleid hat in seiner Weichheit.
Welch ein Ensemble!
Ebenfalls alle Teil des glänzend aufgestellten Hausensembles sind Olga Jelínková als Undine mit schlank-weichem Sopran, die Bertalda von Olena Tokar (mit dramatischer Schärfe), Undines Zieheltern Sejong Chang (Tobias) und Karin Lovelius (Marthe), der profund geführte Bass Peter Dolinšek (Hans) sowie Matthias Hausmann als fabelhafter und gestaltungsreicher Wasserfürst Kühleborn.
Eigentlicher Sympathieträger des Abends jedoch ist Hugos Knappe Veit, musikalische wie szenisch mit schier endloser Energie gestaltet vom langjährigen Ensemblemitglied Dan Karlström. Und noch einen heimlichen Star gibt es bei dieser „Undine“: Selten erlebt man eine musikalisch so kluge und doch überraschende Lichtregie inklusive Schattenspiele und dezenter Farbwechsel (Licht: Michael Röger).
Auch wenn dieser „Zauberoper“ – zumindest ungekürzt – kaum eine große Bühnenzukunft zu prophezeien ist: Der Saisonstart als Statement fürs Ensembletheater ist musikalisch geglückt und wurde bejubelt angenommen.