Alleine, wie gesagt, der Versuch ist Wahnsinn. Über 1000 Akteure – groß, klein, Staaten, Dörfer – sind in den Konflikt verwickelt, so ist in einem der Faktenblöcke zu hören, die zwischen die Geschichten geschoben werden. Die Motive reichen von religiösen Fanatismus über Profitgier über Unzufriedenheit über materielle Not bis zu Selbstschutz. Alles in allem also: Der Konflikt, in dessen Kern der IS agiert, ist eine komplexe Situation, „hat Metastasen gebildet“, sagt jemand auf der Bühne, und ist entsprechend schwer nachzuvollziehen.
Die Inszenierung basiert auf dem Buch „ISIS Defectors: Inside Stories of the Terrorist Caliphate“ von Anne Speckhard und Ahmet S. Yayla, das 32 Interviews mit ehemaligen IS-Kämpfern versammelt. Das sind die Geschichten, an denen „Zwang des Materials“ sich entlang hangelt. Das Bühnenbild ist spärlich, viel leerer Raum, ein kleines, halboffenes Zimmer hinten links, Brautkleider. Die Geschichten schwingen darin, es gibt nicht viel auf der Bühne, das von ihnen ablenken könnte. Aber spätestens, als am Ende keine der Geschichten mehr auserzählt werden kann, weil die Störgeräusche sie immer wieder unterbrechen, wird klar: Auch das ist es nicht, auch dieses radikale runterbrechen komplexer Zusammenhänge auf individuelle Erlebnisse hilft nur bedingt weiter.
Kreuzhagens Inszenierung wirkt, alles in allem, roh und unfertig – eher eine Annäherung an eine Vielzahl von Ideen als eine Ausformulierung. Eher ein vorsichtiges Umkreisen, ein Herausarbeiten von nicht fertig gedachten Denkimpulsen als ein Vorstoß ins Herz der Problematik, wo auch immer das liegen mag. Letzendlich kann eine knapp 60-minütige, wenn auch intensive Inszenierung zum Thema IS und islamistischer Terror aber auch kaum mehr leisten als das. Und vielleicht ist dieses rohe, unbehauene eben auch genau der Kunstgriff, den es braucht, um sich allem anzunähern. Wie sonst wäre ein übergroßes, überwichtiges Thema sonst in den Griff zu kriegen, als dem Publikum unfertige Ideen mitzugeben, die es selbst zu Ende denken muss? So gesehen ist „Zwang des Materials“ zwar unfertig – aber dennoch ein Schritt dahin, eines der wichtigen Themen unserer Zeit besser zu verstehen. Denn zwar ist alleine der der Versuch schon Wahnsinn. Aber irgendjemand muss ihn ja unternehmen.