Foto: Daniel Elias Böhm (Hugo), Markus Michalik (Lennart) , hinten: Jan Paul Werge (Vater) © Andreas Zauner
Text:Manfred Jahnke, am 12. März 2016
Von der schwedischen Schriftstellerin Selma Lagerlöf (1858 – 1940) kennt man hierzulande fast nur noch ihre wunderbaren Geschichte „Nils Holgersson“. Dabei hat sie ein umfangreiches Ouevre hinterlassen, darunter auch Erzählungen wie „Der Luftballon“, eine Kurzgeschichte, die nun von der Jungen WLB Esslingen ins Theater transferiert wurde. Lagerlöf erzählt hier von scheiternden Träumen sowohl der Erwachsenen als auch der Kinder. Der Vater, einst ein begnadeter Musiker, der in der Provinz gelandet ist und sich hier in einem kleinbürgerlichen Leben eingerichtet hat, betäubt seine Träume im Alkohol. Er träumt nach wie vor von einer großen Karriere, an deren Nichterfüllung er seiner Frau die Schuld gibt, die ihn daran hinderte in die große Welt zu gehen, der Kinder wegen, für die sie sich einsetzt. Nach der Scheidung nimmt der Vater die beiden Jungen gegen ihren Willen mit nach Stockholm. Auch sie haben Träume, Lennart möchte Flugmaschinen bauen, der jüngere Hugo mit diesen auf Weltentdeckungsreise gehen. Beide versuchen sich mit ihrem Vater zu arrangieren. Als sie sich ganz allein fühlen, scheinen auch sie ihre Träume aufzugeben, bis eines Tages sie beim Eislaufen einen großen Ballon sehen, dem sie fasziniert hinterher gleiten und nicht merken, dass sie die offene See erreichen.
Dieser Stoff, historisch zu Beginn des 20. Jahrhunderts verortet, ist keine leichte Kost für ein junges Publikum ab zwölf Jahren. Geschickt konzentriert das Team um Marco Süß (Regie) und Heidrun Warmuth als Bearbeiterin auf das Modellhafte der Vorlage: die Geschichte von der Lebensnotwendigkeit des Träumens. Dem Vater wird eine Figur hinzugefügt, sein Professor (von Martin Frolowitz zurückhaltend angelegt), der ihn immer wieder an seine musikalische Genialität erinnert – und so die Handlung voran treibt. Leider lässt der Vater von Jan Paul Werge, der auch eine stimmige Musik ausgewählt hat, die Tiefe des Konflikts zwischen Kunst und Familie unausgelotet, zumal er kaum Beziehungen zu seinen Mitspielern aufbaut. Darunter leidet auch die Mutterrolle, der Galina Freund ruhig-entsagende Züge zu geben versucht. Wenn derart die Darstellung auf der Erwachsenenebene gegenüber der Vorlage unterbelichtet bleibt, so entwickeln Markus Michalik als Lennart und Daniel Elias Böhm als Hugo ein starkes Spiel. Als Sympathieträger stellen sie sich als verspielte Kinder vor, die viel zu früh erwachsen sein müssen. Sie erzählen dabei ihre Geschichte über eine leichte Komik mit slapstickhaften Zügen, ohne ihre Konflikte und ihre Einsamkeit zu unterschlagen.
Die Modellhaftigkeit der Handlungen unterstreicht das Bühnenbild von Katrin Busching, die leicht versetzt parallel zum Publikum eine Gitterrostschräge mit vielen Klappen , in denen die Spieler sich verstecken können. Dahinter steht auf einen kleinen hohen Podest ein Harmonium, der Hauptspielfläche des Vaters. Vorne rechts steht ein nicht angespieltes rokokohaftes Säulenornament, eine armselige Lampe links außen kennzeichnet den Wohnort der zurückbleibenden Mutter. Dieser Spielraum ermöglicht der Regie von Marco Süß ein schnelles Spiel, das über die Musik von Jan Paul Werge auch große Zeitsprünge erlaubt und in dieser sich die Spannung vermittelt, die er als Schauspieler leider nicht zu halten vermag. So radikal, wie Lagerlöf ihre Erzählung mit dem Tod der Brüder enden lässt, ist die Esslinger Inszenierung nicht. Hier stoppen die Brüder direkt vor dem offenen Wasser ihre (pantomimische) Eislauffahrt. Sie treffen die Entscheidung, an ihrem Traum weiter arbeiten zu wollen.