Foto: Katharina Uhland und Marco Matthes © Isabel Winarsch
Text:Jan Fischer, am 14. April 2017
Christopher Haninger inszeniert „Das kleine Pony“ am DT in Göttingen.
Die Eltern laufen rastlos auf dem quadratischen Laufsteg hin und her, aufeinander zu, voneinander weg, immer um das gähnende Loch in der Mitte. Abwesend ist: Ihr Sohn Luis, der, um den es in Paco Bezerras „Das kleine Pony“ geht, der, über den beide sich in endlosen Gesprächen voneinander entfremden.
Der Stein des Anstoßes ist in der von Christopher Haninger am Deutschen Theater Göttingen inszenierten deutschsprachigen Erstaufführung ein Rucksack. Ein Rucksack, mit kleinen Ponys darauf, um genau zu sein, inspiriert von der (nie explizit genannten) erfolgreichen und zum Internetphänomen gewordenen Zeichentrick-Serie „My Little Pony“.
Wegen dieses Rucksackes wird Luis in der Schule erst gehänselt, dann gemobbt und später wird ihm sogar Gewalt angetan. Sein Vater meint, sein Sohn solle in der Schule tragen dürfen, was er wolle, auch gegen den Willen des Schuldirektors, der Luis den Zutritt zur Schule verbietet, wenn er weiter den Rucksack trägt. Seine Mutter möchte den Rucksack am liebsten verschwinden sehen – ihr Sohn solle nicht anders sein als alle anderen Kinder.
Inspiriert von realen Ereignissen
Nicht nur für den Rucksack hat Bezerra sich von realen Ereignissen inspirieren lassen. Die nach „Grooming“ und „Unter der Erde“ dritte deutsche Erstaufführung seiner Texte in Göttingen basiert lose auf Mobbing-Fällen aus den USA, bei denen die Zeichentrick-Serie eine Rolle spielte, einer der beiden Fälle endete mit dem Selbstmordversuch eines 11-jährigen Jungen.
Selbstverständlich geht es in dem Stück nicht nur um diesen Rucksack – es geht um die viel größere Frage danach, wie Menschen, die irgendwie „anders als die anderen“ sind, Feindschaft entgegen schlägt, in „Das kleine Pony“ speziell um die Frage nach Luis‘ erwachender sexueller Orientierung, ihrer eigenen Positionen zu Geschlechterstereotypen, ein Thema, um die die Eltern herumtanzen wie um das Loch in der Mitte des Laufstegs, ohne es je anzusprechen.
Keine Menschen, sondern Avatare
Es gibt in Haningers Inszenierung einige gute Ideen – der quadratische Laufsteg, auf dem die Eltern sich voneinander entfernen können, aufeinander zugehen, sich umkreisen, ist eine davon. Das Loch in der Mitte des Laufstegs ist eine andere, weil es gleichzeitig Luis‘ Abwesenheit in der gesamnten Inszenierung symbolisiert – es wird immer nur über ihn gesprochen, erst selbst taucht nicht auf – und das große Thema des Kerns von Luis „Anderssein“. Genauso ist es eine gute Idee, das textlastige und diskursive Stück, das im Grunde nur aus zwei Positionen besteht, die sich aneinander reiben, auch als solches zu inszenieren, also dem Text viel Raum zu geben und das Bühnenbild dafür reduziert zu halten.
Genauso gibt es allerdings auch einige schlechte Ideen, beispielsweise der Sprachduktus, in den Marco Matthes und Katharina Uhland als Jakob und Irene (Luis Eltern) verfallen. Beide Rollen sind letztendlich nur dazu da, unterschiedliche Positionen einzunehmen, eher Avatare für eine bestimmte Haltung als tatsächlich Menschen. Und genauso sprechen sie auch: Da sind kaum Emotionen in ihren Stimmen, und wenn, dann eine Art von gruseliger Freundlichkeit oder nicht ganz ernst gemeintem Respekt. Es ist, als würde man Künstlichen Intelligenzen, die das mit den Emotionen noch nicht ganz verstehen, dabei zuschauen, wie sie etwas verhandeln. Das ist theoretisch klug gedacht – es sind schließlich Platzhalterfiguren – erweist sich aber in der Aufführungspraxis als Idee weniger mit Fallhöhe sondern einfach nur als etwas, das die Inszenierung in eine unnötig zähe Diskurssuppe verwandelt.
Konstruiert und überkitscht
Am Ende ist es aber noch nicht einmal die Diskurssuppe, die das Stück inhaltlich am Laufen hält – während vieles in der Inszenierung klug gedacht ist, manches davon funktioniert und manches scheitert, driftet „Das kleine Pony“ inhaltlich immer weiter in Naivität. Bezerras Anliegen, Anderssein, Mobbing, Gewalt, Sexualität abseits willkürlich definierter Normen zu thematisieren, ist ein wichtiges. Nur leider passiert das inhaltlich oft mit Klischees – der „My Little Pony“-Rucksack als Symbol dafür ist nur der Anfang – komischen, überkitschten Sätzen wie „An einem Rosenstock wird nie Jasmin blühen“ und stellenweise recht konstruierten Positionen der völlig konsensfindungsunfähigen Eltern. So bleibt am Ende eine Idee, worum es eigentlich hätte gehen können – und ein paar Diskursavatare auf einem Laufsteg, die es eigentlich hätten besser wissen müssen.