Foto: Sivan Ben Yishai, Niko Eleftheriadis in „Die Apokalypse“ nach Lilith © Alex Wunsch
Text:Manfred Jahnke, am 4. Oktober 2018
Am Anfang war das Wort. Und Gott schuf Adam und für Adam Lilith, die aber nicht so wollte, wie es der Mann forderte. Deshalb entstand aus Adams Rippe Eva. Seitdem ist die Frau dem Manne untertan – und Lilith aus dem Bewusstsein verschwunden. Und da die Texte der Bibel von Männern kreiert wurden, werden Frauen, die sich nicht dem Männergehorsam unterwerfen, zu Huren gemacht. Sehr geschickt montiert die moldawische Autorin und Regisseurin Nicoleta Esinencu in „Das Evangelium nach Maria“ und „Die Apokalypse nach Lilith“ die bekannte Geschichte der Maria Magdalena mit der unbekannten ersten Frau Adams zu dem Übertitel „Who run the world“.
Esinencu macht das auf sehr eigensinnige Weise, sie verbindet Geschichten heutiger Frauen mit einer feministischen Umwertung der männlichen Machtvorstellung in weibliche Forderungen. Das klingt nach simpler Überschreibung, wenn allmählich aus dem „Vater unser“ eine „Mutter unser“ geformt wird. Aber so einfach macht es sich die Autorin nicht. Sie hat sehr genau die Sprache der Bibel studiert, aber auch die der Liturgie, die mit ihren Wiederholungen ritualhaft die Gemeinde auf die Glaubenssätze einschwört Und noch eines, die Sprache überzeugt durch ihre poetische Kraft.
Den ersten Teil, „Das Evangelium nach Maria“ inszeniert die Autorin mit ihrem Theaterkollektiv, dem independent „teatru spalatorie“ selbst in rumänischer Sprache (mit deutschen Untertiteln), wobei man sich schnell in die Originalsprache einhört. In einem schwarzen Raum, den Maike Storf entworfen hat, stehen nur zwei Pulte, beleuchtet wird dieser Raum allein durch eine Reihe von Glühbirnen, die sehr hell werden lassen, aber doch meistens den Raum in einem Halbdunkel lässt. Die Performerinnen Doriana Talmazan und Kira Semionov, die beide gleich in Schwarz gekleidet sind (Kostüme ebenfalls Maike Storf) treten auf und befestigen an ihrem Körper kleine „Sonden“, die die Herztöne hörbar machen, zugleich aber intensive elektronisch verstärkte „Bodypercussion“ ermöglichen, die der Aufführung einen ganz eigenen Sound geben und sie strukturieren. Zwischen den einzelnen „Gleichnissen“, wie die Autorin die einzelnen biographischen Geschichten nennt, welche die Gewalt vorführen, die Frauen angetan wird, entwickelt Talmazan jeweils den Grundsound für die Szene. Zu diesem bewegt sich auch das Licht der Glühlampen nicht nur in Hell- und Dunkeleinstellungen, sondern auch in der Bewegung. Die beiden Performer stehen zumeist an ihrem Pult im bläulichen Schein der Leselampe. Aber gerade in dieser Statik zeigt Talmazan hohe Schauspielkunst.
„Die Apokalypse nach Lilith“ hat ebenfalls Nicoleta Esinencu geschrieben, aber Marie Bues mit dem Performer Niko Eleftheriadis und der Israelin Sivan Ben Yishai führt nun Regie. Der Raum wirkt jetzt hell, in der Mitte steht auf Podien ein Gerüst, das an orientalische Architektur erinnert, nach hinten abgeschlossen durch einen Glitzerstreifenvorhang. Zunächst aber tritt ein Chor auf, die „Liederlust Mettingen“, der „I need a hero“ mehrstimmig vorträgt, bevor Eleftheriadis emotional sich immer stärker in seine Geschichte verstrickt, während Yishai lächelnd aus einer großen Ruhe heraus agiert. Die „Gleichnisse“ sind in diesem Teil Geschichten, die per Video eingespielt werden. Am Ende dann, als beide sich in großen Plastiksäcken bewegen und der Chor auftritt, entwickelt sich eine babylonische Kakaphonie von gewaltiger Sprachkraft und starker visueller Wirkung. Was hier verhandelt wird, ist die Infragestellung der Beziehung von Mann und Frau und schließlich jeglicher Geschlechtszuschreibung. Ein spannender dreistündiger grandioser Abend, der nachdenklich macht.