Foto: Andreas Haase als Stalin © Bjørn Jansen
Text:Manfred Jahnke, am 16. Februar 2020
Das Werk, davon insbesondere die Theaterstücke des 1941 in Chile geborenen, 2015 in Venedig verstorbenen Gaston Salvatore, ist weitgehend vergessen. Der Autor, der einst von Enzensberger ermutigt worden war, auf Deutsch zu schreiben, und mit Rudi Dutschke befreundet war, deckt in seinen Stücken politische Mechanismen auf, die aktuell noch virulenter sind als zu ihrer Entstehungszeit. Das zeigt beispielsweise die Ausgrabung von „Stalin“ (1985) am Theater Konstanz. Hier beordert Josef Stalin den Schauspieler und Intendanten Itsik Singer direkt nach einer „Lear“-Vorstellung – noch im Kostüm – zu sich. Das Stück spielt sehr konsequent die Rollen von Diktator und Narren durch: nur, weil der Narr ein Narr ist, kann der „König“, der zur Realisierung des Sozialismus in der Sowjetunion Leichenmauern mit Millionen Toten brauchte, sich rechtfertigen. „Wenn ein einzelner stirbt, ist das eine Tragödie. Aber Millionen? Das ist bloß Statistik“, formuliert Stalin. Seine Gespräche mit dem Komödianten sind Teil der Vorbereitung eines Pogroms gegen die Juden. Am Ende dann ist Jurij, der Sohn von Singer, tot, auf einem Gefangenentransport an „Herzversagen“ gestorben und Itsik steht mit blutigem Gesicht und in Handschellen vor Stalin. Salvatore gelingt es in diesem Zweipersonenstück, die Machtmechanismen eines totalitären Systems transparent zu machen, die gegenseitige Durchdringung von Misstrauen, Machtpolitik und intriganter Verstrickung. Auch Itsik ist kein Engel, hat sich zum Spitzel machen lassen und beginnt in den „Nachtgesprächen“ mit Stalin seine „Blindheit“, die mangelnde Zivilcourage zu durchschauen.
Regie führt der Nachwuchs: Lorenz Leander Haas, noch Regieassistent am Haus. Andreas L. Mayer hat ein Bühnenbild geschaffen, das eher an ein Ambiente des absurden Theaters denken lässt. Nachdem der rote Vorhang gefallen ist, auf dem neben Hammer und Sichel in kyrillischer Schrift „Es lebe der rote Terror“ zu lesen war – dazu hört man ein sozialistisches Lied –, sieht man auf eine Bühne, an deren Rändern um die 26 Stühle stehen, sowie zwei Wände, die auf der einen Seite übereinander gestaffelt Neonröhren haben, auf der anderen Seite eine Holztäfelung. Die Maserung des Holzes wie die der Stühle haben rote Kleckse oder Striche, „Blut“, in der die Welt versäuft. Die Regie greift dieses Angebot auf, indem sie alles Naturalistische aus dem Stück zu vertreiben versucht. Zwar tritt am Anfang Andreas Haase in weißer Uniform und dem berühmten Schnauzbart von Stalin in einer pappkulissenhaften Welt – Schreibtisch und Sessel – auf, aber als das eigentliche Spiel beginnt, trägt er eine Sporthose mit einem breiten roten Streifen, ein T-Shirt und eine Jacke, beide mit eingedruckten Orden. Peter Cieslinski erscheint als Lear mit einer Krone aus Weidenruten, das Gesicht weiß geschminkt, die Lippen grellrot.
Eine große Vertrautheit ist zwischen den beiden Schauspielern zu spüren, die schon in „Warten auf Godot“ beeindruckten. Peter Cieslinski als Singer tastet sich ängstlich und abwartend an seinen Partner heran, der Umschlag aus der Unterwürfigkeit heraus wirkt überraschend, da hat einer seine Narrenrolle ein wenig zu schnell eingenommen. Andreas Haase als Stalin hat es in dieser antinaturalistischen Inszenierung schwer. Das Stück spielt zeitlich Ende 1952/ Anfang 1953, Stalin ist wenige Monate vor seinem Tod ein kranker, geschwächter Mann. Aber ausgerechnet Haase muss alle Umbauten zu lauten Songs machen, zwischen den Szenen die Wände schieben, die Stühle immer wieder neu formieren, mal zu Bergen, mal wie zu einem Vortrag. Im Spiel von Haase ist aber keine Erschöpfung zu spüren, er weiß um seine Macht, führt Itsik wie eine Marionette, bullig und immer in der Weise eines Mannes, der weiß, dass er Recht hat. Ein Schelm, der mühelos an aktuelle Parallelen denken lässt.