Foto: „Drei Wasserspiele“ am Theater Vorpommern © Peter van Heesen
Text:Ute Grundmann, am 13. Juni 2021
Die Stimme fürchtet sich, sie fleht, sie wütet. Schließlich will sie vom venezianischen Prinzen nichts weniger als dessen Seele. Ist ihr die Rede, die man in den Augen sehen kann, schwellen die Stimmen auf und ab, so angst- wie hoffnungsvoll. Hochemotional begannen Detlev Glanerts „Drei Wasserspiele“ im Theater Vorpommern und so blieb es für das ganze Kurzopern-Triptychon. Schon für November 2020 geplant, gelang die Premiere in Horst Kupichs Regie jetzt doch noch – leider nur für zwei Vorstellungen am Greifswalder Standort.
Bläulich-weiß stürzt das Wasser vor die erste Zuschauerreihe. Das ist der erste Coup des Ausstatters Christof van Büren, der im Übrigen auf nüchterne, leicht variierte Szenerien setzt. Aber das videobewegte Wasser-Tuch ist schon imposant. Hinter ihm beginnt „Leviathan“ mit dunklen, beschwörenden Männerstimmen zu dissonantem Streicher und Klavier. Hebt sich der Vorhang, begegnet man Meeresgestalten: Neptun-Gog-etar-Leviathan (Alexandru Constantinescu) mit Zepter und wassergrünem Kostüm, der Meerfrau Brigomeide (Nina Maria Fischer) hat das Nass sogar die langen Haare gefärbt. Sie wird versuchen, dem blass gewandeten und verschlafenen Prinzen (Semjon Bulinksy) das buchstäblich abzusingen, was ihr fehlt: eine Seele.
Das ist ein bisschen Hauffs „Kaltem Herz“ und anderen Teufelsbünden ähnlich, aber eigenständig, vor allem durch Detlev Glanerts Klangsprache. Er schreibt seinen Protagonisten schwere, aber sangbar-ausdrucksvolle Partien. So ist der Prinz erst verloren, dann froh, denn er weiß, wo er seine Seele aufbewahrt – und seine Stimme wandert durch Höhen und Tiefen. Da mag Brigomeide ihn noch so umschmeicheln oder anfauchen – am Ende bleibt ihr nur ein fragend-wehmütiges „Vielleicht?“.
Die bitterschöne Meerfrauen-Saga ist das erste der „Dreiminutenspiele“ Thornton Wilders, die Glanert zu seinen Kurzopern inspirierten. Diese dauern ein wenig länger, sind aber nach intensiven 20 Minuten jeweils komplett.
Auch „Der Engel, der das Wasser bewegte“, eine simpel-komplizierte Geschichte. Auch sie wird von neun Solisten des Philharmonischen Orchesters Vorpommern getragen, der junge Dirigent Kiril Stankow hält Klang- und Stimmlinien perfekt zusammen. Den „Engel“ also, der dunkel-hell-dissonant heraufklingt, werden ein „Selbstgetäuschter“ Kranker (Karo Khachatryan) und ein „Letztgekommener“ Arzt (Thomas Rettensteiner) gleichermaßen anrufen, wer die nur einmal erhältliche Heilung bekommen soll. Dunkel und zart zugleich klagen die Männer, bejubeln schnell und synkopiert wie die Musiker die Ankunft des Engels (Franziska Ringe). Die vielen Fragen und Bitten der Männer begleitet dunkler Bläserton, doch statt einer Antwort bekommen sie ein Wunder – das ihnen im Crescendo neue Wege weist.
Bei all den Mythen, Illusionen, Sünden und Hoffnungen wird Glanerts Musik nie schwer, nie bedeutungshubernd, sie stellt mehr Fragen in Dissonanzen und Harmonien, als sie beantwortet. Und der Komponist setzt ans Ende seines Triptychons ein Satyrspiel: „Der Engel auf dem Schiff“. Das Gefährt ziert eine üppige, pausbäckige, bezopfte Galionsfigur. Sie soll den drei Insassen – Minna (Nina Maria Fischer), Van (Semjon Bulinsky), Sam (Alexandru Constantinescu), das Trio des Auftaktes – zum benötigten Trinkwasser verhelfen. Sie beten, umringen, flehen die stumm-starre Holzfigur wie eine Göttin an. Ein abstürzendes „Ooh!“ signalisiert Enttäuschung, die vom Orchester schnell und rhythmisch vorangetrieben wird. Doch auch kommt aus verlorenen Hoffnungen – von hell-flinkem Xylophon getrieben – eine überraschend andere Lösung, die am Ende unter hellen Schlägen verweht.
Nach kurzen 60 Minuten gaben sich die 100 Zuschauer zu Recht große Mühe, so begeistert zu applaudieren, als hätten alle 445 Plätze besetzt werden dürfen.