Foto: Jürgen Müller als vielarmig seine Zigarren paffender Alberich in Achim Freyers Mannheimer „Rheingold“-Inszenierung. © Hans Jörg Michel
Text:Joachim Lange, am 31. Oktober 2011
Oben links schwingt ein Maler mit ausladender Geste den Pinsel. Mit der Palette in der Hand und einem Barett auf dem Kopf, bei dem man gut und gerne auch an das modische Markenzeichen des „Ring“-Komponisten denken könnte. Gegenüber schlägt der Arm eines athletischen Gongschlägers auf ein riesiges Trommelfell. Die beiden entpuppen sich schnell als die Götter Froh und Donner, bald findet sich auch die restliche Sippe ein: Wotan als Besitzer des gesichtslosen, einäugigen Kopfes überm Göttermantel; seine Gattin Fricka als Dame mit dem Augenlogo auf der Brust und deren Schwester Freia als Kreation mit Ast auf dem Kopf und Äpfeln auf dem Dekolleté. Der fünfarmige Typ, der stets gleichzeitig an mehreren Zigarren pafft, ist Loge. Die überdimensionierten Figuren mit Maurerkelle oder Vermessungsstab in der Hand und den Gesichtern auf Bauchnabelhöhe sind die Riesen, die beiden Glatzköpfe, die auf ihren Hochplateau-Sohlen effektvoll wie Zwerge herumwuseln, Mime und Alberich. Wobei der Nachtalbenchef noch mit dem berühmtesten Oberlippenbärtchen der Weltgeschichte versehen ist. Bei seiner Verwandlung in einen Riesenwurm lässt er lauter Doubles aus ihren Löchern auftauchen und ihren rechten Arm in die Höhe schnipsen. Das Gold der Nibelungen schließlich wird in einer Münze geprägt, die dieses komisch groteske Konterfei trägt. Der Ring selbst ist eine leuchtende, gierig grapschende Riesenhand. Damit dringt dann doch wenigstens einmal so etwas wie historische Wirklichkeit in die poetische Bilder-Welt hinein, die Achim Freyer – ganz so, als wäre er jener Maler-Gott Froh – hier entworfen hat.
Schon bei dem im doppelten Wortsinn schwebenden Vorspiel denkt dieser Regisseur und Ausstatter zwar als hochmusikalischer, vor allem aber als bildender Künstler. Auf graudunkler Bühne lässt er ein Dreieck aus Kugeln schweben und mit Nornen-Sensibilität die Erschütterungen des abhandenkommenden Weltgleichgewichtes seismographisch wahrnehmen. Hier schweben auch die phantasievoll ausstaffierten Rheintöchter in der Höhe. Und darunter leuchtet der Speer Wotans samt Raben auf der Drehbühne. Auf dem balanciert Alberich am Ende mit einem Clownsknaben entlang. So zeigt Achim Freyer in einem lebenden Bild gleichzeitig, was war, ist und sein wird. Dadurch wird das „Rheingold“ bei ihm eher zur kontemplativen Bildbetrachtung als zum einleitenden Vorabend. Szenisch wird hier darauf verzichtet, mit narrativem Ehrgeiz eine politisch aufgeladene Geschichte der Welt zu erzählen. Was bleibt ist die Faszination einer autonomen Poesie der Bilder.
Musikalisch ist dieser Vorabend vor allem ernüchternd. Dan Ettinger und das Orchester des Nationaltheaters haben offenbar noch nicht den rechten Zugang gefunden. Vieles bleibt diffus und unscharf, fällt mitunter arg auseinander. Auch der vokale Schulterschluss von Graben und Bühne gelingt nur in Ausnahmefällen. Etwa bei Simone Schröders fulminantem Auftritt als Erda in einer einschwebenden wahrheitsverkündenden Riesenmaske. Oder bei Karsten Mewes packendem Alberich-Porträt. Jürgen Müllers Loge fehlte das gewisse Quantum Verschlagenheit. Die Götter und das übrige Ensemble bewegen sich zwischen dem soliden Thomas Jesatko als Wotan und der schon arg grenzfälligen Fricka von Edna Prochnik. Musikalisch und vokal muss der nur einen Sprung entfernte, gemeinsam mit Halle in Ludwigshafen geschmiedete Ring diese Konkurrenz jedenfalls nicht fürchten. Schön für Ludwigshafen. Schade für Mannheim.