Foto: Ensemble von tanzmainz in "Sphynx" am Staatstheater Mainz © Andreas Etter
Text:Björn Hayer, am 31. Januar 2022
Sie gehen und gehen und gehen und gehen, anfangs stoisch und dann zunehmend enthemmter. Man könnte auch sagen: individueller. Fast jedes Mitglied im großen Tanzensemble des Staatstheaters Mainz spielt mit eigenen Gangarten entlang eines Lichtstreifens. Die einen schlurfen und taumeln, die anderen marschieren, wiederum andere stolzieren oder zeigen groteske Verrenkungen. Und während dieses Defilee in epischer Zähigkeit vonstattengeht, gewinnt man den Eindruck, die Akteurinnen und Akteure würden zunehmend fremdgesteuert. Ihre Fortbewegung mutet bei anschwellenden Elektrobeats mehr und mehr mechanisch, ja: geradezu unmenschlich an. Wird hierin wohl die Technisierung unserer Welt verhandelt? Oder die allgemeine Verobjektivierung des Daseins durch den Kapitalismus?
Den Verlautbarungen des Programms zu dem Stück „Sphynx“ zufolge verhandle man die „Weise menschlicher Fortbewegung“. So versteht sich alles Folgende, das nicht unbedingt mit einem Mehr an Aussagekraft aufwartet, als Deklination des Gangs. Es wird also ganz gewiss spannend und fulminant! Wenn der Mensch nicht gerade wie in einer anderen, wahrscheinlich einen aufziehenden Sturm thematisierenden Szene über die Bühne gewirbelt wird, dann wird er von der Choreografin Rafaële Giovanola in die Vorzeit zurückgeworfen.
Langweilig und unklar
Nunmehr wandern die Darstellerinnen und Darsteller auf allen Vieren innerhalb eines Ovals, strecken sich hier und da nach oben, bis sie – erneut nach einer gefühlten Ewigkeit – alle in die aufrechte Position gelangen. Ja, Evolution kann auch so langweilig, eintönig sein. Um das Ganze aufzupeppen, tragen die Tänzerinnen und Tänzer derweil übrigens durchsichtige Oberteile, selbstverständlich ganz im Sinne von back to the roots. Nackt sein heißt doch seit den 90ern auf der Bühne irgendwie immer auch ursprünglich sein.
Und da es sowieso nur um den Körper geht, kann so ein Abend natürlich ohne nennenswerte Kulisse, ohne besonderes Licht und ohne jedwede Requisite auskommen. Wer braucht schon Klimbim, wenn es Rätsel und ach so zeitgemäßer Minimalismus tun? Als die Dynamik auf der Bühne einmal zum Erliegen kommt und alle Tänzerinnen und Tänzer zum Publikum schauen, als würden sie von einem fernen Licht angezogen, schreiten sie abwechselnd nach vorne und nach hinten. Dabei bringen sie den Oberkörper immer wieder in merkwürdige Positionen. Realisiert sich darin die nächste Stufe des Humanen? Hin zum Alien? Hin zu einer Special Art of Life? Man weiß es nicht. Für die nahe Zukunft dient schon eher ein Blick auf die Uhr, um das Ende des objektiv sechzigminütigen, subjektiv unendlichen Stücks vor Augen zu haben.
Je eigenartiger die Darstellung, desto besser – so scheint die Devise dieser Produktion zu lauten, die sich zwar als avantgardistisch gebärdet, aber letztlich in die Unklarheit und Unbestimmtheit hineinflüchtet. Doch so glänzend Quatsch auch angepinselt sein mag, er bleibt eben Quatsch.