Foto: Jochen Ganser, Markus Seidensticker, Johannes Geißer und Manuela Stüßer (v.l.) in "Welt auf der Welle" © Lisa Stern / Theater Rudolstadt
Text:Ute Grundmann, am 15. April 2019
Eine Frau wandert am Meeresstrand entlang und freut sich darauf, schöne Steine zu sammeln. Doch was findet sie? Den Plastikverschluß einer Wasserflasche, eine Crackerverpackung, den Henkel einer Tasche. Das ist im Theater Rudolstadt der düster-realistische Blick auf Welt und Wasser heutzutage. Doch in „Welt auf der Welle“ wird auch Seemannsgarn gesponnen, werden Liebeslieder auf das Meer gesungen, wird Politik gescholten. Und den Mythos von der Schiffskatze gibt es auch.
Steffen Mensching, seit zehn Jahren erfolgreich Intendant des Theaters Rudolstadt, und Chefdramaturg Michael Kliefert haben in dieser Zeit schon einige Mehrspartenprojekte entwickelt. Nun also der zugleich sehnsuchtsvolle und erschreckende Blick auf Erde und Meer.
Gespielt wird im Stadthaus, Interim für das Theater, in dem zwei Spielzeiten länger als geplant Hochwasserschäden saniert werden. Hier hat Manfred Kolb eine so passende wie zauberhafte Szenerie gebaut: Wasserblaue Seitenwände mit Schiffstüren samt Bullaugen, in der Mitte ragt ein schrägstehender Container hervor. Hinter einem dünnen, weißen Vorhang spielen die Thüringer Symphoniker Saalfeld Rudolstadt unter Oliver Weder, Karla Wenzel und Tobias Vethake singen und spielen E- und Akustik-Gitarre, Vethake hat auch Kompositionen, Arrangements und Songs geliefert.
Und so erklingt das hohe Lied auf die Schiffsleute, deren Augen klar vor lauter Unendlichkeit sind. Auch der Mythos von Atlantis darf nicht fehlen, mit dem Fazit „tief unterm Ozean will ich sein“. Die fünf Darsteller Rayk Gaida, Jochen Ganser, Johannes Geißer, Markus Seidensticker und Manuela Stüßer, die auch hervorragend singen, agieren mal als Chor, mal solo, immer auf oder am Container, sehen und hören einander zu.
Von Markus Seidensticker kriegen Touristen Spott ab, Hepatitis sei doch auch ein schönes Souvenir; ernst wird es beim Vater im nassen Grab, in der Flut der Ewigkeit. Danach erklingen sanft-sinfonische Streicher, ausgewählt hatte man Kompositionen von, unter anderen, Bach, Samuel Barber, Schostakowitsch und Schubert. Dazu Texte von ganz unterschiedlichen Autoren wie Johannes R. Becher, Rolf Dieter Brinkmann, Franz Kafka und Steffen Mensching. Da sind skurrile Geschichten dabei vom „Mann über Bord“ (politisch korrekt heißt es heute „Person über Bord“), der als einziger überlebt, weil sein Schiff kentert. Ein Schiff schlingert durch Filmwellen, dass man seekrank werden könnte. Dazu Aufmüpfiges wie das gemeinsam-inbrünstige „Ob Sonne oder rege, egal, wir sind dagegen“. Dann werden die Bullaugen in den Türen zu Taucherbrillen, die Schönheit und Gefahren des Meeres zeigen. Und Jochen Ganser singt, wie er zum Fisch wurde und wie schwer es ist, wieder Mensch zu werden. Kurz vor dem Ende wird es dann deutlich politisch: In einer Welt der Orban, Putin und Pegida wollen sie nicht leben, die Menschen auf der Rudolstädter Bühne, auch nicht in einem Europa, das „Arbeit macht frei“ und „Charlie Hebdo“ heißt: „Europa j’accuse!“
Nach zweieinhalb kurzweiligen, nachdenklichen, märchenhaften und erschreckenden Stunden gab es für alle Beteiligten füßetrampelnden Lohn und zwei Zugaben.