Foto: Michael Laurenz, Paul Lorenger, Yvonne Naef und Statisten im "Parsifal" von Claus Guth. © Suzanne Schwiertz
Text:Tobias Gerosa, am 28. Juni 2011
Die Treppenhäuser und grossbürgerlichen Villen der Inszenierungen von Claus Guth und Christian Schmidt kennt man mittlerweile, ihr Setting für den Zürcher „Parsifal“ (der als Koproduktion schon in Barcelona zu sehen war) überrascht also nicht. Doch diesmal ist der Glanz vorbei, alles blättert ab und schon im ersten Akt hausen hier Kriegsversehrte; im zweiten tanzt man in den Ruinen und im dritten schliesslich formieren sich die Versehrten an der Spitze der geeinten Kolonnen, die dem neuen Führer und Heilsbringer folgen. Das Zürcher Publikum nahm das mit grosser Begeisterung und grossem Protest an – dabei passt die Interpretation (wie beim „Tristan“ desselben Teams 2009), die bei der Parsifal-Rezeption, die nach dem Auslaufen des Aufführungsverbots ausserhalb Bayreuths 1913 von Zürich ausging ausgesprochen gut.
Und sie ist nicht nur gut gedacht, genau ausgeführt, sondern erdet die mystische Handlung gleich doppelt im Konkreten. Da ist einmal der historische und rezeptionsgeschichtliche Kontext, der die Heilserwartung der Gralsgesellschaft aus dem Nebulösen in ein zauberberghaftes Sanatorium holt. Parsifal wird zum Beobachter eines Rituals, dessen Sinn in der Wiederholung liegt. Zur Gralsenthüllung lauschen die Patienten einem Grammophon, dessen Melodien sie längst mitdirigieren können, Krankenschwestern verteilen dieselben Wassergläser, die schon im Wartezimmer herumstanden und die Ärzte kredenzen heiliges Blut des Grals mit Pipetten als wäre es Placebo. Erst der Führer, im gleissendsten Scheinwerferlicht mit den heiligen Insignien vereint, kann dieser Gesellschaft wieder eine Richtung weisen.
Und da ist die zweite Erdung auf psychologischer Ebene. Während des Vorspiels inszeniert er einen Krach am Familientisch, der vernachlässigte Sohn Klingsor (Egils Silins) verlässt Vater Titurel (Pavel Daniluk) und Bruder Amfortas(Thomas Hampson) im Streit. Das lange Ende nutzt Guth, der eben in ihrer gefährlichen Auswirkung gezeigten musikalischen Verklärung ein menschliches Ende entgegenzusetzen und die beiden Brüder wenigstens als Möglichkeit zusammenzuführen.
Dass trotz Stuart Skeltons Parsifal und Yvonne Naefs Kundy (Matti Salminens Gurnemanz wirkt stimmlich etwas matt) auch ein problematischer „Parsifal“ zu erleben ist, liegt am Dirigenten Daniele Gatti, der auch fast zwei Jahre nach Amtsantritt als Chefdirigent nicht ganz am Opernhaus angekommen scheint (er geht in einem Jahr ja auch wieder) . Da ist zwar gerade im Vorspiel ein zauberhafter Mischklang zu hören, wo immer möglich wird Gatti ab dem harschen zweiten Akt laut – teilweise über die Dimensionen des Hauses hinaus. Und er zelebriert einen sehr langsamen und weihevollen „Parsifal“ (eine halbe Stunde länger als angekündigt), was wenig einheitlich wirkt, die Spannung manchmal auch abbrechen lässt und nicht gerade das Verständnis ist, das mit der Szene zusammengeht.