Jan Krauter (Fernandez), Jennifer May Owusu (Amaranta) und  Ricardo Frenzel Baudisch (Pico)  in „Die Ballade von Garuma“ an der Jungen Oper Stuttgart.

Vom Traum zum Fall

Guus Ponsioen: Die Ballade von Garuma

Theater:Schauspiel Stuttgart, Premiere:30.06.2011Autor(in) der Vorlage:Ad de BontRegie:Marco StormanMusikalische Leitung:Kristina Sibenik

Kichernd liegen die beiden Jungs am Boden – mit Plastiksäcken über dem Kopf, schnüffeln den Inhalt von Spraydosen. Fernandez und Pico haben sonst nicht viel zu lachen in den vermüllten Favelas. Fernandez hatte selbst schon ein Kind, den verhungerten Säugling trägt seine Freundin Rosa (stark: Nastasja Dokalou) jetzt in einer alten Tasche herum. Mit starren Augen brüllt sie jeden an, der sie mit der Realität konfrontiert, auch Mamita (Dorothea Geipel), Fernandez’ Mutter, die hilflos zusehen muss, wie ihr Nachwuchs versumpft. Und dann ist da noch Amaranta, ein dickes Mädel, das Fernandez schon immer geliebt hat, obwohl er sie dauernd quält. Amaranta, die Selbstlose, wird als Seherin zur Schlüsselfigur. Ihre einführend gesungene „Ballade von Garuma“ ist ein Gleichnis auf den Aufstieg und Fall des Jungen Fernandez, der als „Garuma“ zum Fußballstar avanciert und auf der Spitze seines Erfolges an Verletzungen und Hochmut zugrunde geht. Ein Garuma, so erzählt das brasilianische Märchen, könne niemals lebendig gefangen werden. Nur solange der weiße Vogel umherfliegt, gibt es Hoffnung. Mit dem Ende von Fernandez’ Karriere verliert ein ganzes Dorf seinen Traum.

Die Jugendoper der beiden Niederländer Ad de Bont (Text) und Guus Ponsioen (Komposition) gelangte an der Jungen Oper Stuttgart zu einer rundum stimmigen Fassung, die im Bühnenbild von Frauke Löffel Kondition und Trittpräzision der jugendlichen Darsteller herausfordert: Zeit- und Ortlosigkeit vermittelt ein nackter, in eckigen Wellen geformter Pressholzboden, ein Fließband fördert sporadisch Müll zutage. In diese bildhafte Tristesse hinein inszeniert Marco Štorma das Fußballdrama und formt den überwiegend aus Schülern gecasteten Projektchor der Jungen Oper zu Bühnenprofis. Die Jungs werden vom rassistischen Fußballtrainer Baracca (Boris Burgstaller) getriezt, die Mädchen kommentieren in dezent choreografierten Chören.

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Allen voran glänzt und berührt die junge Gesangstudentin Jennifer May Owusu als Amaranta mit glockenhellem, weichem Sopran. Jan Krauter ringt seinem Fernandez wichtige Facetten ab: ist Scheusal, Held und doch nur Kind. Sein Freund Pico (ebenso spielwütig: Ricardo Frenzel Baudisch), den er zum Balljungen degradiert, rächt sich am Ende bitter. Der Trauerzug für den erschossenen Garuma mündet in Selbstbesinnung: Fanplakate werden abgerissen, T-Shirts leise abgestreift. Was im Sozialkitsch enden könnte, fängt die Inszenierung mit überzeugenden Darstellern, dezent gesetztem Humor und einer stimmigen Dramaturgie auf, so dass final eine fast kathartische Stimmung aufkommt.

Zwischen südamerikanischen Rhythmen, Tango und Kurt-Weill-Farben pendelt Guus Ponsioens klangmalerische, lebensbejahende Komposition, die vom Projekt-Orchester unter der musikalischen Leitung von Kristina Šibenik enthusiastisch gespielt wird – links von und in einem Graben inmitten der Bühne. Mit dieser Produktion hat die Junge Oper Stuttgart erneut Maßstäbe im Kinder- und Jugendmusiktheater gesetzt.