Träumen von Atlantis mit Diana Wolf (r.)

Vom Kampf zwischen Phantasie und Bürgerlichkeit

E.T.A. Hoffmann: Der Goldene Topf

Theater:Theater der Stadt Aalen, Premiere:19.02.2019Regie:Tonio Kleinknecht, Marko Kreuzer

Lassen sich bürgerliche Wirklichkeit und phantasmagorische Welt miteinander versöhnen? E. T. A. Hoffmann hat 1814 in seinem „goldenen Topf“ diese Widersprüche zu fassen versucht und ein Gremium des Baden-Württembergischen Kulturministeriums hat das nun, nachdem es die Probleme alter Männer mit jungen Mädchen durchkonjugiert hat, zum Schrecken aller Abiturienten und Literaturwissenschaftler zum Schwerpunkt- und damit möglichem Prüfungsthema für die gymnasiale Oberstufe gemacht. Kein Wunder daher, dass nun die Geschichte von Anselmus, der zwischen Veronika, die von einer bürgerlichen Karriere als Amtsratsehefrau träumt und Serpentina, der Schlange mit den blauen Augen, die für die blaue Blume der Romantik einsteht, auf den Bühnen in Baden-Württemberg Konjunktur hat. Nach dem Figurenkombinat Stuttgart, dass die eigentliche Geschichte des Anselmus in 10 Minuten referiert und dann 90 Minuten lang freie Assoziationen zum „Märchen aus neuer Zeit“ entwickelt, wobei jeder Spieler gleiche demokratische Rechte in seinen Assoziationen hat, was schnell durchschaubar ist und damit zur Langeweile führt, führt nun das Theater Aalen eine andere Möglichkeit vor. Hier erzählt man die Geschichte in ihren markanten Drehpunkten aus.

Der Widerspruch von bürgerlicher Wirklichkeit und phantastischer Gegenwelt wird hier als Gegensatz verschiedener Medien gesetzt.  Auf drei Leinwänden zeigt sich die wunderbare Welt des Archivarius Lindhorst, bunte Farbexplosionen, vermischt mit verzerrten Gesichtern und Formen, aber immer den armseligen Bürgern, die mit Klappstühlen auftreten, überlegen. Unterbrochen wird der Farbenrausch durch einen Erzähler, der immer wieder aufscheint. Allerdings ist jeder Spieler auf der Bühne zugleich ein Erzähler, so dass jener im Video als ein Doppelgänger des Autors erscheint. Nachdenklich macht, warum diese wunderbare Welt der Poesie, in die Anselmus am Ende im Zauberland Atlantis eintaucht, durch das Medium des Films dargestellt wird. Ist der Vorgang, dass sich immer mehr Menschen in digitalen Welten verlieren, tatsächlich mit dem romantischen Symbol der blauen Blume zu fassen?

Die Inszenierung von Intendant Tonio Kleinknecht und Marco Kreuzer entwickelt die Erzählung als Auseinandersetzung zwischen bösen und guten Kräften. Veronika wird von Mirjam Birkl anrührend gespielt. Sie steigert sich zu kämpferischen Tönen, bis sie resigniert und  sich, plötzlich ganz verhuscht, für ihre kleine bürgerliche Welt entscheidet. Veronika tut sich mit der „bösen“ Hexe (Diana Wolf im Video) zusammen, um Anselm auf ihre Seite zu ziehen. Ihr Vater, den Arwid Klaws als Inbegriff der Bürgerlichkeit spielt, merkt nichts von den Konflikten seiner Tochter. Und auch der Registrator, bei Philipp Dürschmied vor allem jovialer Beobachter, bleibt seiner Bequemlichkeit verbunden, obschon er Veronika schließlich heiratet. Auf der „guten“ Seite, der der Poesie, steht der Archivarius, einst aus dem Lande Atlantis verbannt und voller Sehnsucht nach der Rückkehr. Aber zuvor muss er, der in ursprünglicher Gestalt Salamander war, seine Töchter, die goldenen Schlangen, verheiraten. Bernd Tauber spielt einen charmanten Weisen, der stets den Überblick behält.  An Anselmus aber reißen beide Kräfte. Er wird zum Spielball, ohne seine Situation zwischen  den zwei Frauen wirklich zu durchschauen. Manuel Flach spielt diese Zerrissenheit groß aus, bleibt dabei aber auch stets ein wenig der naive Student, der erst am Schluss zu seiner Identität findet. Leicht nervös legt er die Rolle an, um dann zur Ruhe zu kommen.

Ist die „bürgerliche“ Welt Handlungsort ist, so zeigen die Videos von Marco Kreuzer schlossähnliche Fenster. Auch die Kostüme von Birgit Barth verweisen auf das Milieu eines kleinen Residenzstädtchens, in dem die Bürger die Mode des Adels nachzuahmen versuchen. Dunkle samtige Farben herrschen vor, die vom sinnlichen Farbenrausch der Anderswelt fast aufgesogen werden. Und der Clou der spannenden Inszenierung von Tonio Kleinknecht und Marco Kreuzer: die eigentliche „Gegenkraft“ zu Veronika, die Schlange, tritt gar nicht auf. Es sind nur die silbernen Glöcklein zu hören, die ihr Schlängeln begleiten.