Es hat jedoch stets etwas Mechanisches, Ausgedachtes oder zu stark vom Visuellen aus Konstruiertes, was wohl bei dem Filmemacher, der Rigal auch ist, nicht verwundert. Der Choreograph, Jahrgang 1973, früherer Leistungssportler, ist in Deutschland noch nicht so bekannt wie in Frankreich, wo seine Company Dernière Minute in Toulouse ihren Sitz hat. Er hatte mit den Mainzern „Welcome Everybody“ erarbeitet, im Rahmen der Kooperation FranceDanse 2019, bis zwei Wochen vor der Premiere nichts mehr ging. Er plante spontan um entlang der gerade aktuellen Pandemiekontaktregularien. „Extra Time“ baut er so auf, dass mehrmals etwas anfängt und zu Ende geht. Falsche Enden bescheren extra Zeit, ermüden aber auch das Zuschauen. Die Idee, die Körperteile lauter Ecken formen, also Linien ausfahren und knicken zu lassen, wirkt in der vorgeführten Ausführlichkeit öde. Unterkomplex. Der Witz der forcierten Zweidimensionalität, der Flachheit, ist nur einer, wenn man die forcierte Scheiben- oder Bildschirmhaftigkeit des kulturellen und sozialen Lebens in diesen Zeiten mitbedenkt.
Dazu passt all das Eckige der Choreographie, möglicherweise verweist es auch auf alte Bauhaus-Zeiten. Hinzu kommen Gesten des Posierens und Zurechtzuppelns wie vor Spiegeln, Standbein-Spielbein, Halbprofil, Hand auf Hüfte. Ticks wie beim Warten, Kratzen, Haarestreichen, das Kinn auf die Hand zu stützen, füllen leere Zeiten. Rigal choreographiert diese Sammlung geschickt, so dass plötzlich zwei oder drei Tänzer dasselbe machen, was dadurch sichtbarer wird, hinter ihnen setzen vier andere erst einzeln, dann unisono Haltungen und Wechsel zusammen. Größere und kleinere Getümmel driften so vom scheinbaren Chaos lauter Vereinzelungen ins Gruppieren, was jedoch nichts an den Einzelnen verändert. Figur bleibt Figur im Spiel.
Eine von ihnen kriegt zwischendurch eine Art Eigenleben; Nora Monsecour krümmt und windet sich, fährt die langen Arme aus, ruckt den Kopf und wirkt in ihrem Ringelshirt und den Hosenträgerhosen wie ein Extra-Clown. Einer ohne Wirt oder Zelt. Ansonsten treiben die Bühnenbewohner auf den manchmal auf- und abfahrenden Bühnenbodenelementen immer mehr Sport. Immer mehr Bewegung, wie es jenes erste Solo als Prinzip darlegte. Ob aus Lust oder Aktivitätszwang, ist nicht zu erkennen, eine schöne Ambiguität: Da sind regelrechte Hampelmänner mit koordinierten Bein- und Armwürfen zugange, Beugen, Strecken, vorne, hinten, seitlich, kreuzend, immerzu wiederholt und dann variiert. Auf und ab. Hüpfen im Takt. Üben, üben, üben. Mancher Schwung mit Gruppe mit breiten Beinen erinnert eher an Tanz, das Sitzen auf dem Hintern mit schräg erhobenen, gestreckten Beinen an Gymnastik, das Kreisen am Platz an Uhrzeiger, und die sinnlose Vielfalt an Einfällen könnte einem Überdruss an brav befolgten tausend Online-Yogastunden entspringen. Nur fehlt der Witz.
So bleibt „Extra Time“, das eine eigens erstellte Elektronikkomposition von Gwen Drapeau grundiert und später zunehmend aufdringlich antreibt, mit Georgel, Glockenspiel, Theremin-Gesang, Geratter, gerufenen und geflüsterten Worten und Zahlen, „5-6-7-8“, ein Vorschlag. Vor der Zeit, in ihr, mit ihr.