Foto: Im monumentalen Verlies:. Luther (Zacharias Preen), Katharina von Bora (Jennifer Böhm), Lucas Cranach (Immanuel Humm) © Olaf Struck
Text:Ruth Bender, am 8. Oktober 2017
„Und wenn ich mich irre? Wenn ich es bin, der ein Kalb sieht, wo doch nur ein Kind in der Wiege liegt?“ Es sind wuchtige Worte, die der Mann im schwarzen Talar in den Raum spricht, ganz ruhig, wie einer, der schon weiß, wie das ist, mit den inneren Dämonen umzugehen. Im Clinch mit sich selbst, so zeigt das Autorenduo Feridun Zaimoglu und Günter Senkel Luther in seinem neuen, gleichnamigen Stück. Annette Pullen hat am Kieler Schauspiel, welches das Stück gemeinsam mit dem Landeskirchenamt beauftragt hat, die Uraufführung inszeniert.
Zwischen den himmelhohen Wänden, die Bühnenbildnerin Iris Kraft aus rußgeschwärzten Holzpanelen gebaut hat, lässt die Regisseurin den großen Reformator um Klarheit und Wahrheit ringen. Ein bedrückend monumentales Verließ, in dem sie Luther mit den historischen Weggefährten Philipp Melanchthon und Lucas Cranach, der Ehefrau Katharina von Bora und drei fiktiven jugendlichen Sinnsuchern konfrontiert. Aufgehängt haben Zaimoglu und Senkel ihr Drama an dem historisch belegten Hexenprozess in Wittenberg, dem der damalige Bürgermeister Lucas Cranach im Dürrejahr 1540 willig stattgab. Im Stück treffen sie nun aufeinander, die hohen Herren von Stadt und Glauben, und die niederen Stände um die angebliche Hexe Prista Frühbottin und den Scharfrichter Magnus Fischer.
Es ist ein Amalgam aus Gerüchten und Geschichten, aus Voyeurismus und Wahrheitssuche, das die Autoren in dem akribisch recherchierten Stück anzetteln, mit einer rohen archaischen Kunstsprache, die schon Zaimoglus im Frühjahr erschienenen Luther-Roman „Evangelio“ kennzeichnet und den Zuschauer wie im Rausch mitnimmt. Annette Pullen lässt die Inszenierung zwischen Disput und Leben schwingen, stellt strenge Stilisierung gegen lebhaftes Volkstheater. Und Zacharias Preen zeigt die Titelfigur als Prediger, Teufelsaustreiber, Lehrer, Beschwörer – flirrend zwischen Selbstzweifel und dem festen Willen, sich eben diesen auszutreiben. Auch um den Preis der Lüge: „Ich sehe Hexen, wo nur dunkle Schwaden Luft und Leere schwärzen …“
Luther ist hier weniger die historische Ausnahmegestalt als einer von etlichen, die im ausgehenden Mittelalter mit Gott, Kirche und der Unübersichtlichkeit der Welt hadern. Daneben erscheint Ehefrau Käthe, die ehemalige Nonne Katharina von Bora, als die wahre Hetzerin und Lucas Cranach, der Künstler mit Polit-Ambitionen, als gewissenloser Pragmatiker. Wie die Inszenierung dabei die Ähnlichkeit zu den Originalen betont, wirkt dazu so karikaturistisch wie emblematisch, macht die Figuren zu Maskenträgern, unter denen sich heute ganz andere verbergen könnten.
Für Drive sorgen die Szenen um die angebliche Hexe Prista Frühbottin (Yvonne Rupprecht) und den Scharfrichter Magnus Fischer (Marko Gebbert) sowie die jugendlichen Sturmdränger. Olga von Luckwalds unbefangen energische Elsbeth sorgt für eine sehenswerte Junge-Liebe-Szene. An Jasper Diedrichsens Melanchthon-Jünger Christoph lässt sich ablesen, wie aus dem Fragen Eifern wird, und an Martin Borkerts Thomas das wachsende Unbehagen.
Und weil die Sprache so brutal benennt, was ist, braucht es kaum eine Bebilderung der Gräuel, die Cranach ja tatsächlich in Holz schnitzen ließ. Es reicht, wie Yvonne Rupprechts Prista als blutig geschundenes Bündel Mensch herumliegt und die Würdenträger in ihren Talaren dem Horror wie im Kino als kauend-fiebernde Voyeure zusehen.
Auch wenn die Gegenüberstellung manchmal etwas schematisch gerät, fast so, wie die Figuren es den Autoren vormachen – „Luther“ funktioniert im Jubiläumsjahr der Reformation als Historiendrama, das die großen Fragen geschickt zwischen Krimi und Liebesgeschichte einwebt. Zum vielsagenden Spiegel für die Fundamentalismen der Gegenwart und gewaltbereite Fanatiker wird das Stück dabei ganz von selbst.
Weitere Vorstellungen am 10., 18., 25., 27. Oktober, 1., 3. und 14. November.