Text:Detlev Baur, am 22. Februar 2016
„Versucht euch mal in die Lage der Flüchtlinge zu versetzen.“ Dieser Satz steht im Programmheft zur Inszenierung von Henning Mankells Stück „Zeit im Dunkeln“ am Nordharzer Städtebundtheater. Er stammt von einer Mitarbeiterin in der Erstaufnahmestelle für Asylsuchende in Quedlinburg. Diese Aufforderung zur Empathie richtet sich nicht nur an alle Skeptiker in der Stadt, sondern beschreibt auch die Zielrichtung des jüngst verstorbenen schwedischen Autors Henning Mankell mit seinem Drama.
Vater und Tochter sind da in einem ihnen fremden Land angekommen, der Vater verlässt jedoch kaum den Zufluchtsort, eine kleine Wohnung. Seine Tochter versucht dem Vater klar zu machen, dass sie sich nun endlich dem neuen Land stellen und öffnen sollten, anstatt auf die versprochene Weiterschleusung in ein paradiesisches Kanada, wahlweise auch Australien, zu warten. Andererseits macht sie ihm Vorwürfe, dass er bei ihrer Flucht über das Meer den Tod der Mutter nicht verhindern konnte. Mankell reflektiert nicht Vorbehalte der einheimischen Bevölkerung, sondern erfindet zwei fiktive Flüchtlinge mit ihren Stärken und Schwächen. Und das Nordharzer Städtebundtheater interviewt nicht reale Migranten in der Erstaufnahmestelle, sondern lässt sich auf das poetisierende Rollenspiel eines Dramas ein. Das könnte als Anmaßung verstanden werden – oder eben als Glauben an traditionelles Theater qua Einfühlung in fiktive Gestalten.
Jonathan Failla lässt in der fast zweistündigen Inszenierung auch die verstorbene Mutter immer wieder auftauchen (Julia Siebenschuh) und betont so den Aspekt des Familienstücks. Auch wenn die Kostüme (Austattung: Franziska Boos) eine orientalische Herkunft von Vater (Gerold Ströher) und Tochter (Mona Luena Schneider) nahe legen, bedienen die beiden Protagonisten keinesfalls Klischees. Ströher spielt eher einen sensiblen, verunsicherten Mann, als dass er den Macho-Vater betonte; Schneider gibt eine starke, entscheidungsfreudige Tochter, auch dann noch, wenn sie am Herd steht.
Die Inszenierung vertraut dem Dialog und schafft vor flexiblen Regalwänden eine kleine Welt der Leiden, Hoffnungen, Erinnerungen und Machtspiele. Am Schluss geht sie dann doch ein wenig darüber hinaus: Wenn Vater und Tochter sich pantomimisch endlich gemeinsam in die neue Stadt hinauswagen, vollziehen sie, was im Text die Tochter eher hoffend als glaubend sagt. Und das differenzierte Spiel, dieses Näher-rücken anfangs fremder Menschen kommt beim Quedlinburger Publikum gut an. Diese „Zeit im Dunkeln“ kann für den empathischen Zuschauer einen ersten Schritt bedeuten bei der Zuwendung zu den Flüchtlingen in der eigenen Stadt.