Foto: "Rienzi" am Theater Krefeld/Mönchengladbach © Matthias Stutte
Text:Andreas Falentin, am 11. März 2013
Man benötigt gute Gründe, um dieses überlange Monstrum mit seinem dauernden martialischen Aufrauschen auf den Spielplan zu setzen, dass zudem dadurch belastet ist, dass Adolf Hitler den Besuch einer Aufführung in der Linzer Oper als Wendepunkt in seinem Leben hin zur Errichtung seines menschenverachtenden Staatsgebildes beschrieb.
Um konzentrierte theatralische Akzentuierung zu ermöglichen, hat man das Stück in Krefeld auf zweieinhalb Stunden Spieldauer zusammengestrichen. Matthias Oldag sieht in der Titelfigur exemplarisch Mechanismen der Machtpolitik gestaltet, will zeigen, wie der idealistische Fanatiker beim Aufprall auf die tatsächlichen, gesellschaftlichen Gegebenheiten, gleichsam unbewusst frustriert, zum Opfer seiner eigenen Eitelkeit und Selbstgefälligkeit wird. Oldag betrachtet diesen Prozess ganz von heute aus und fährt jede Menge bekannte Distanzierungsmittel auf. Irgendwann erscheint dann auch der singende Mensch als solches. Zeitungsartikel über heutige Diktatoren werden projiziert. Wenn Rienzi am Rednerpult steht, steigt George W. Bush aus einem Flugzeug und Barak Obama winkt huldvoll ins Volk. Wenn Rienzi seine Schlacht schlägt, gibt es Kriegs- und Zerstörungsbilder von Hiroshima bis Afghanistan. Wenn der Krieg vorbei ist, dominiert die Börse. Auf dem Aktienparkett wird Rienzis Untergang beschlossen. Im letzten Akt lässt Oldag Wagners positiv gemeinten Helden nicht in quasi faschistoide „einsame Größe“ abheben, sondern zeigt ihn als Wahnsinnigen, am Wankelmut der Menschen, denen er „nur“ die Freiheit schenken wollte, Zerbrochenen. Carsten Süß stellt sich ganz in den Dienst dieser Rollenauslegung – mit großer Präsenz, überraschender Expansionskraft seines flexiblen Charaktertenors und der subtilen Textbehandlung des erfahrenen Liedersängers. Neben diesem parabelhaften Ansatz erscheint gleichberechtigt das klassische Opernmelodram. In dessen Zentrum steht Adriano, zerrissen zwischen der Loyalität zu seinem Vater, einem Rienzi befehdenden Adligen, und der Liebe zu Rienzis Schwester Irene. Zart liebend, abgrundtief leidend und kindlich wütend hält Eva-Maria Günschmann die Figur mit jugendlich aufblühendem, ein wenig stark vibrierendem Mezzosopran von jedem Konzept „tragischer Größe“ fern.
Generalmusikdirektor Mihkel Kütson macht schon in der Ouvertüre, die er keinesfalls als Wunschkonzertnummer gibt, sondern breit anlegt, nahezu zerfasern lässt, beunruhigende Unterströmungen hörbar, die diese wie gepanzert daher kommende, effektgesättigte Musik erträglich und phasenweise spannend machen. Kütson und seine Niederrheinischen Sinfoniker blättern den Reichtum an Melodik und Klangfarben beispielhaft auf, ohne sich dem unerbittlichen Vorwärtsdrängen dieser Partitur zu widersetzen. Furios der Chor, darstellerisch hoch engagiert, musikalisch bestens einstudiert, Rollen deckend die übrigen Solisten.
Nicht alles will gelingen. Das Imitieren von Politikergesten im vierten Akt etwa erreicht die parodistische Ebene in keinem Moment und wirkt ganz einfach opernhaft ungelenk. Auch die Darstellung der Adelsbanden hätte sich fantasievoller denken lassen, obwohl Andrew Nolen (Orsini) einen wunderbar arroganten Mafioso-Strizzi erfindet, der jedem satirischen Comic Ehre machen würde. Meistens aber funktioniert die distanzierende, plakativ aufgeladene Überzeichnung. Dann gelingt, wie etwa im grandios gebauten Staatsempfang im zweiten Akt, ein klarer, oft witziger Blick auf die Korruption des Menschen durch Macht, bietet die Szene den immer wieder kehrenden, dröhnenden Klangballungen energisch die Stirn. Die Anstrengung, den einzigen szenischen „Rienzi“ im Wagner-Jahr zu wagen, hat sich gelohnt!