Volkstheater Rostock Der Steppenwolf

Durch Lachen zum Licht

Viktor Åslund: Der Steppenwolf

Theater:Volkstheater Rostock, Premiere:12.04.2025Autor(in) der Vorlage:Hermann HesseRegie:Vera NemirovaMusikalische Leitung:Eduardo Browne Salinas

Am Volkstheater Rostock fand die Zweit-Inszenierung von Viktor Åslunds Oper „Der Steppenwolf“ nach Hermann Hesse statt. Hesse empfiehlt als Lösung aller Lebensprobleme das Lachen. Aber gegen Ende bleibt es einem leider im Halse stecken.

„…If life seems jolly rotten, There’s something you’ve forgotten, And that’s to laugh and smile and dance and sing…“ – das hätte der gute Brian, nachdem ihn die Jungs von Monty Python pietätloserweise ans Kreuz genagelt hatten, doch gut auch mal einem gewissen Harry Haller vorsingen können. Denn damit wäre bündig auf den Punkt gebracht, worüber Hermann Hesse einen ganzen Roman geschrieben und Viktor Åslund eine ziemlich ausgewachsene Oper komponiert hat: Harry Haller, besser bekannt unter seinem antibürgerlichen Alter Ego „Der Steppenwolf“, soll lernen, über sich und das Leben mal von Herzen zu lachen. Im Gegensatz zum „Leben des Brian“ ist diese Empfehlung aber bierernst gemeint. Weshalb Hesse und mit ihm auch Rainer Lewandowski, letzterer über viele Jahre Bamberger Intendant, mit „Heute weder Hamlet“ erfolgreicher Theaterautor und hier Librettist von Åslunds 2016 in Würzburg uraufgeführter Oper, arg ins Schwafeln geraten.

Huch, ich bin ja ganz viele!

Aber gut –so einfach ist die Sache natürlich nicht. Dieser Gegensatz zwischen dem bürgerlichen Ästheten und dem dampfenden Leben, den Hesse in seinem zerrissenen Helden spiegelt: Solche multiplen Dissoziationen der Persönlichkeit und des Weltbildes haben vor inzwischen reichlich über 100 Jahren die Intellektuellen umgetrieben, von Friedrich Nietzsche über Siegmund Freud bis hin zu Thomas Mann oder eben Hermann Hesse. Aber schon als sich die antibürgerliche Jugend von 1968 Harry Haller als Helden erkor, war das wohl doch ein Missverständnis. Antibürgerlich wie auch Haller waren sie, ja. Aber bei der Sendung des kommunistischen Manifests hörte der Spaß auf. Und heute? Kurz bevor Åslunds „Steppenwolf“-Oper jetzt am Volkstheater Rostock ihre Zweitaufführung erlebte, da las Elke Heidenreich dort aus Hesses „Steppenwolf“ und brach eine dicke Lanze für die Aktualität des Textes. Die Opernproduktion konnte nur leider nichts davon beglaubigen.

Allerdings, ein Kompliment muss man dem Volkstheater machen: Die Verve und auch die künstlerische Qualität, mit der das riesige Ensemble unter der musikalischen Leitung von Eduardo Browne Salinas und in der Regie von Vera Nemirova Åslunds Opernbrocken auf die Bühne wuchtet, die musste jeden beeindrucken, der’s erlebt hat. Åslund hat ein bald dreistündiges Werk für Orchester, Jazzband, Chor, Ballett und einer Menge Solisten geschrieben, darunter drei große Gesangspartien. Den Auftrag aus Würzburg bekam er wohl auch, weil er dort ein paar Jahre Erster Kapellmeister war. Als solcher kennt er natürlich sehr viele Opern des späten 19. Und frühen 20. Jahrhunderts sehr gut. Das hört man. Dass er einen eigenen Stil anstrebte, hört man nicht. Aber seine Musik ist vielschichtig und funktioniert prima. Bei Eduardo Browne Salinas war sie in besten Händen, weil er diese Vielschichtigkeit markant herausarbeitete und ihr den Drive gab, den sie unbedingt braucht.

Mit besten Grüßen von Sally Bowles

Man hörte gute Sänger: Grzegorz Sobczak ist ein Harry Haller mit kraftvoll-expressivem Bariton, Jaehwan Shim singt sein Steppenwolf-Alter-Ego mit dunklem, wuchtigem Bass-Bariton. Julia Eberts Hermine ist hell timbriert und lyrisch einfühlsam, nur nach ein paar Spitzentönen musste sie sich etwas angestrengt strecken. Und auch der Maria, Harry Hallers Zweit-Geliebter, hat Åslund eine empfindsame Arie geschenkt (mit Textzeilen, die bei Hesse eigentlich der Hermine gehören), die die Mezzosopranistin Ekaterina Aleksandrova mit großer Delikatesse singt. Der Pablo, Spielmacher des Magischen Theaters, das Harry von seiner Lach-Ladehemmung heilen soll, ist eigentlich als Tenorpartie (mit hohem Sprechanteil) geschrieben; ein professioneller Tenor ist Peter Saurbier allerdings nicht und klingt deshalb etwas gewöhnungsbedürftig. Allerdings hat Åslund ihn wohl selbst für die Rolle ausgesucht und seine Bühnenpräsenz jedenfalls ist stark.

Steppenwolf Rostock

Grzegorz Sobczak und Ensemble. Foto: Thomas Ulrich

Nicht nur Figuren wie Hermine oder Paolo erinnern an eine gewisse Sally Bowles und den Conférencier des Kit Kat Clubs. Auch die Inszenierung scheint sich einige Inspiration dort eingefangen zu haben. Vera Nemirova, in Rostock aufgewachsen und mit Heimspiel-Vorteil beim stehend begeisterten Publikum, hat für alle Hauptfiguren eine fast choreographisch durchstilisierte, enorm energetische Körpersprache entwickelt. Auch durch die auf schrille Cabaret-Couture zielenden Kostümen von Pavlina Nikolova Eusterhus bekommen sowohl die Protagonisten scharf gezeichnete Profile als auch der Chor pittoreske 20er-Jahre-Attraktivität. Für die permanenten Verwandlungen hat Mathis Neidhardt eine Drehbühne gebaut, sehr effektvoll, aber nicht etwa dank technischer Opulenz: Alles wird von Hand bedient und verströmt so einen sympathischen Hand-Made-Appeal.

Der Steppenwolf tanzt

Die Rostocker Inszenierung zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass das Steppenwolf-Ego des Harry Haller hier nicht durch den eigentlich dafür zuständigen Sänger Jaehwan Shim verkörpert wird. Der sitzt vielmehr als Autor vorne rechts an einem Tisch und klappert auf seiner Schreibmaschine, womit eine Menge Steppenwolf-Text auf ihn übergeht. Das vermag zwar diese hinzuerfundene Figur kaum zu beglaubigen. Es funktioniert aber gut, weil der hochexpressiv agierende Tänzer Flurin Stocker in der Choreographie von Keith Chin den Steppenwolf charismatisch auf die Bühne stellt. Einiges an Text hat man in Rostock aber wohl auch gestrichen.

Und das war bitter nötig. Denn je länger, desto schwerer trägt der Abend an Rainer Lewandowskis Langatmigkeit. Statt sich der Figur Hallers mit eigenem dramaturgischem Zugriff zu nähern, erzählt sein Libretto die Handlung brav nach und verwendet neben Hesse-Gedichten vor allem Originaltext des Romans. Der aber wälzt philosophische Probleme, die sich über konventionellen Operngesang, wie Åslund ihn nun einmal schreibt, kaum vermitteln lassen. Und spätestens im Magischen Theater scheint auch der Regie der Elan abhanden zu kommen.

Aber einen Schlusscoup zaubert sie noch aus dem Zylinder: Als der suizidal gefährdete Harry dazu verurteilt wird, ewig zu leben, damit er endlich das Lachen über das Leben lerne, da wird die Verurteilung ausgesprochen von einem kreischenden, Popcorn mampfenden Amüsierpublikum. So distanziert sich die Regie doch noch von der verschmockten Heiterkeitsphilosophie des Romans. Popcorn ist ja eine Metapher für Kinogenuss. Eine Kino-Spaßgesellschaft also. Aber Aktualität? Sind das nicht eher die Schreckgespenster älterer Damen (und Herren natürlich)?