Foto: Ines Krug und Philipp Noack als Experten von SPALT © Albi Fouché
Text:Maike Grabow, am 18. Juni 2018
Theater als virtuelles Spiel: Christiane Hütters und Sebastian Quacks Modellversuch am Schauspiel Essen fasziniert, leidet aber unter kleinen technischen Unvoilkommenheiten.
Sonntag, 2. Juni, 16:07 Uhr: Ein Bus taucht aus dem Nichts auf. Er fährt ein paar Meter und verschwindet wieder. Woher kam er und wo ist er hin? Zeugen bleiben ratlos zurück. Die Erklärung liefert das Team von SPALT (Spezialagentur für Alternierende Territorien): Es handelt sich hierbei um einen Dimensionssprung. Der Bus tauchte aus einer Parallelwelt auf, die unserer ähnlich ist. Die Fachleute nennen sie Essen 2. Durch komplizierte Analyseverfahren konnte festgestellt werden, dass die Insassen des Busses bei Eintritt in Essen 1 bereits tot waren. Was ist geschehen? Anhand von Gegenständen, die zurückgelassen wurden, können die Erinnerungen der Personen aus den letzten Stunden und Tagen rekonstruiert werden. Aber die angereisten Experten brauchen Hilfe von den Essenern. Mit einer App werden sie durch die Stadt gelotst, lösen verschiedene Aufgaben und kommen dem Geheimnis auf die Spur.
Das mixed reality game unterscheidet sich von bekannten Spielerlebnissen wie Pokémon GO. Man bleibt nicht in der fiktiven Welt, sondern löst sich von dem Smartphone und muss in der Realität handeln. Man wird aus der Sicht von einer der acht Personen durch Essen geführt und löst Aufgaben und Rätsel. Zum Beispiel muss man ein Foto machen. Oder einen Text verfassen. Dieses Genre als Form des Theaters anzunehmen, fällt vielen noch schwer. Dabei ist die Verwendung von spielerischen Strategien im Theater nicht mehr ungewöhnlich. In einigen Jahren wird auch dieses Genre als Kunstform angesehen werden. Christiane Hütter, zuständig für die Inszenierung und Story, und Game Designer Sebastian Quack entwickelten das Konzept zu „Der Spalt“ anlässlich der Jubiläumsspielzeit des Schauspiel Essen. Es zeigt, wie wandelbar das Theater sein kann. Wie das Theater immer wieder andere Formen annehmen kann. Anders als eine konventionelle Inszenierung begleitet „der Spalt“ einen in den Alltag. Der Vorwurf, dass in der virtuellen Welt die Empathie verloren geht, wird hier umgangen, indem man mit jeder gelösten Aufgabe mit mehr Empathie für eine bestimmte Person belohnt wird. Und je stärker die Empathie ist, desto schneller kann eines der vier möglichen Endszenarien durchgespielt werden. Dieser Kniff steht dem Vorurteil der „bösen virtuellen Realität“ gegenüber, was plump wirken mag. Zweifel sind durchaus berechtigt, denn letztendlich steht nicht die Empathie im Mittelpunkt, sondern… ja, was eigentlich?
Ich stehe vor einem Wasserspiel und muss eine Aufgabe lösen. Mit dem Handy in der Hand und dem Blick auf die Umgebung gerichtet, wirkt es für Umstehende wie eine Szene aus dem Alltag. Besonders wird es erst, als ein Mann auftaucht. Mit dem Handy in der Hand und dem Blick auf die Umgebung gerichtet. Ich spreche ihn an. Auch er ist ein „SPALTer“. Gemeinsam lösen wir das Rätsel. Durch dasa Spiel kommen wir zusammen. Nach der Lösung trennen sich unsere Wege, denn wir müssen weiter, zu verschiedenen Punkten. Solche spontanen Momente machen den Charme des Spiels aus: Man kommt mit fremden Leuten zusammen, tauscht sich aus, lernt sich kennen und trennt sich wieder. Wahrscheinlich ist es diese Form der Empathie, die im Mittelpunkt steht. Das Miteinander und nicht das Gegeneinander, nicht nur in der virtuellen, sondern auch in der realen Welt. Das Spiel will einen Austausch zwischen Essen Nord und Essen Süd fördern. Die Trennung soll aufgehoben werden, indem man durch Essen Mitte, den Rüttenscheider Stern und dem Alleecenter in Altenessen geführt wird. Ob das Spiel als Kunstform jedoch dafür die richtigen Leute anspricht, bleibt zu bezweifeln.
Dass für eine gelungene Umsetzung in diesem Genre die Technik und Koordinierung eine große Rolle spielen, wird bei „Der Spalt“ sehr deutlich. Es treten immer wieder Probleme auf. Ein Hinweis in der Realität ist verschwunden, ein Fehler taucht in der App auf. Das hemmt das Spielerlebnis – und macht ärgerlich, wenn es aufgrund von technischen Fehlern nicht möglich ist, das Endszenario durchzuspielen. Erst wenn auch diese Mängel behoben sind, kann die Kunst der virtuellen Realität ihre volle Wirkung entfalten. Aber dieses Spiel bildet einen gelungenen Anfang auf dem langen Weg zur Etablierung.