Foto: "Briefe des van Gogh" in Gera. Kai Wefer (Vincent) © Stephan Walzl
Text:Ute Grundmann, am 27. Oktober 2014
Vincent kriecht in einen kleinen Gitterkäfig, verschließt ihn und singt von der „angenehmen Heilanstalt“, in der er dieses Zimmerchen hat. Auf fliegende Blätter malt er flüchtige Zeichnungen und steckt sie durchs Gitter – Botschaften in die Welt da draußen. Solche Signale sind auch seine Briefe an den Bruder Theo, aus denen der russische Komponist Grigori Frid (1915 – 2012) die Mono-Oper „Briefe des van Gogh“ geschaffen hat. Auf der kleinen „Bühne am Park“ in Gera hat Michael Dissmeier das Werk jetzt herausgebracht; der 75minütige Abend kann vor allem musikalisch und sängerisch überzeugen.
Das Bühnenbild von Hilke Förster ist (natürlich) einem van Gogh-Gemälde nachempfunden. Zu Beginn ist es verstellt von gerahmten Leinwänden, die, mit der Rückseite zum Publikum, ein Bildergefängnis bilden, das zur kurzen Ouvertüre umständlich wieder abgebaut wird. Dann aber beherrscht das sonnenüberflutete Getreidefeld die Szene, in ihr allein, wehmütig, zornig, arbeitswütig eben Vincent (Kai Wefer).
Regisseur Michael Dissmeier lässt ihn mit Scheinwerfern hantieren, sich selbst oder Bilder ausleuchten, Zuflucht bei einer hölzernen Puppe suchen, ein verspiegeltes Totenköpfchen aufhängen oder auch mal stumm in die Welt schauen. Diese Szenen-Ideen sind nicht immer zwingend, die Szene im Gitterkäfig ist eine der überzeugendsten. Nur eines tut Vincent nicht: Er malt nicht, stattdessen singt er davon, und da ist Kai Wefer so überzeugend wie in den übrigen Facetten der Partie.
Im braunen Arbeitsanzug, ein bißchen den van Gogh angeschminkt, singt er mit dunkler Stimme den ersten Brief an den Bruder, von Einsamkeit und Leere und der Hoffnung auf einen Freund. Er klingt weh- und sehnsuchtsvoll nach der Begegnung mit einer Frau, ist aufgewühlt und wütend, wenn es um seine Arbeit geht. Und wenn dieser Vincent sich empört, tut es die Musik mit ihm. Die neun Musiker des Philharmonischen Orchesters Altenburg-Gera unter der straffen Leitung von Takahiro Nagasaki lassen die vielen Stimmungen der Musik Frids wunderbar leuchten: Die weiche Solo-Klarinette für den Einsamen, die heiter-jazzigen Klänge, wenn Vincent von einer Fahrt aufs Land erzählt und die Musik nach dem Trab der Pferde klingt. Den Sturm in seiner Seele illustriert schnelles Schlagwerk, die Musik konterkariert aber auch Vincents Satz, es gehe ihm gut, und ein Mistral fegt auch noch durchs Orchester.
Diese „Briefe des van Gogh“, nach „Das Tagebuch der Anne Frank“ von 1969 die zweite Mono-Oper Frids, 1976 in Moskau uraufgeführt, ist ein bewegendes kleines Stück Musiktheater, an dessen Ende Vincent immer noch allein, wie fragend und klagend zugleich, zurückbleibt.