Foto: Christian Müller als Ismael in der Heavy Metal Oper "Kanaan" Landestheater Schwaben in Memmingen. © Karl Forster
Text:Werner M. Grimmel, am 6. Oktober 2014
Die Ankündigung machte neugierig. Eine „Heavy-Metal-Oper“ sollte auf die Bühne des Landestheaters Schwaben (LTS) kommen, wie sie die Welt anderswo noch nicht gesehen und gehört hat. Und ihr Titel „Kanaan – The Story of Abraham“ versprach eine Auseinandersetzung mit der Geschichte jenes Patriarchen, auf den sich alle drei monotheistischen Offenbarungsreligionen berufen. Das tangiert ja auch aktuelle Tagespolitik. Im Konnex mit Metal-Musik mutet dieses Projekt wie eine doppelte Strategie an, dem Theater neue Publikumsschichten zu erschließen.
Walter Weyers, seit 1997 Intendant des Memminger LTS, möchte mit einem Rahmenprogramm zu „Kanaan“ Fragen „nach den Urquellen unserer Kultur, nach Gottesglaube und Moral zum allgemeinen Gesprächsstoff in Stadt und Region“ machen. Ergänzend zu Vorträgen, Diskussionen, einem Workshop und einer Lesung findet ein Symposion statt. Verteter verschiedener christlicher, jüdischer und muslimischer Verbände und theologische Experten erörtern die Bedeutung des Alten Testaments für die abrahamitischen Religionen – ein löbliches Vorhaben.
Die „Metal-Oper“ erwies sich freilich bei der Uraufführung als Mogelpackung. Das Stück scheitert in mehrfacher Hinsicht am eigenen Anspruch. Die passendere Bezeichnung Singspiel wurde wohl vermieden, weil sie für Metal-Fans zu harmlos klänge. Wer sich aber auf einen Live-Autritt der musikalisch beteiligten israelischen Bands Orphaned Land und Amaseffer gefreut hatte, wurde enttäuscht. Die wenigen Musikeinwürfe kommen als Playback aus Boxen. Da böte sich bei diesem ohnehin primär aus Sprechtexten bestehenden Stück als funktionierendes Konzept eher eine Hiphop-Oper an.
Live erklingt in „Kanaan“ lediglich der Gesang der Schauspieler, die aber weder ausgebildete Opernsänger sind noch Übung in speziellen Metal-Gesangstechniken wie Screaming haben, sondern allenfalls über Erfahrungen mit Songs und Musical verfügen. Die deutschen Dialoge und Monologe (Walter Weyers) wollen kein Ende nehmen. Im Laufe des fast dreistündigen Abends hemmen sie mit saloppem Jargon, poetischen Ergüssen oder stockendem Gestammel den Gang der Handlung. Besser sind die englischen Lyrics der elf Songs von Erez Yohanan und Kobi Farhi, die mit teils orientalisch eingefärbter Musik entsprechende Szenen knapper und imposanter zum Ausdruck bringen.
Über der von Sabine Manteuffel und dem Graffiti-Künstler Loomit gestalteten Bühne verweist eine überdimensionale Gebärmutter-Attrappe mit Eierstöcken und farbig blinkenden Eileiterkabeln auf das Thema Nachkommenschaft. Darunter dient eine riesige Gipshand den Darstellern als Diwan. Den Boden bedeckt rotbrauner Wüstensand. Textilien und Körperbemalung (Franziska Harbort) bedienen Metal- und andere Klischees ohne erkennbare Intention. Die von Weyers und Peter Kesten inszenierte, von Boris Stannek musikalisch betreute Produktion profitiert von der fantasievollen, gut einstudierten Choreografie Can Arslans.
Julian Ricker (Abraham), Michaela Fent (Sara), Barbara Weiß (Hagar), Jan Arne Looss (Isaak) und Sabrina Becker (Engel des Herrn) machen das Beste aus ihren Rollen. Christian Müller (Ismael) überzeugt mit packender Deklamation und kompensiert Defizite beim Gesang mit ausdrucksvollem Tanz. Die Regie wirkt jedoch unausgegoren und effekthascherisch. Weyers’ Texte möchten ein „radikal subjektives Echo“ auf die biblische Vorlage bieten, prallen aber mit ihrer Thematisierung spätbürgerlicher Beziehungsprobleme am archaischen Sujet ab. Naive Dramatisierung und aufgesetzte Theatralik führen immer wieder zu unfreiwilliger Mockumentary-Komik.
Weitere Vorstellungen am 30. September, am 8., 11., 16. und 19. Oktober sowie ab März