Foto: Wehende Banner, scheppernde Rüstungen: Jacquelyn Wagner in der Titelpartie von Giuseppe Verdis Oper „Giovanna d'Arco“ am Theater Bonn. © Thilo Beu
Text:Detlef Brandenburg, am 27. Oktober 2014
Über Verdis „Gioavanna d’Arco“ schwebt wie ein Damokles-Schwert die Bewertung: grandiose Musik, aber grandios verpeilte Dramaturgie. Man muss das Verdikt nicht bedingungslos teilen. Aber als Warnung könnte es schon dienen. Wenn man diese Oper für die Bühne szenisch retten will, braucht man eine gute Lösung für die Stolpersteine, die Verdis Librettist Temistocle Solera dem Regieteam in den Weg legt. Deren größter ist – neben dem Handlungsbruch zwischen dem zweiten und dritten Akt – die Tatsache, dass Giovannas Geliebter bei Solera nicht, wie bei Schiller, der englische Anführer Lionel ist, sondern der französische König Karl VII. selbst. Das überfrachtet die Figur dieses Königs, macht auch sein Verhalten vor der Kathedrale von Reims, als Gioavanna, eben als Erlöserin gefeiert, aufgrund der Anschuldigungen ihres Vaters plötzlich verstoßen wird, schwer verständlich.
An der Oper Bonn hat man das Videoteam fettfilm mit der Inszenierung von Verdis erster Schiller-Oper beauftragt. Momme Hinrichs und Torge Møller, die beiden fettfilm-Animationsvirtousen, haben für Inszenierungen von Stefan Herheim, Philipp Stölzl oder Peter Konwitschny phantastische virtuelle Landschaften kreiert, auch für Marius Müller-Westernhagen waren sie schon tätig. Aber als erste eigene Oper gleich dieser Verdi-Brocken – das ist kühn. Und sie setzen das Unternehmen denn auch kühn in den Sand. Natürlich ist der typische fettfilm-Stil, der stets die Bühne als ganze in eine surreale Videoszenerie verwandelt, auch hier faszinierend. Die beiden haben eine mächtige Treppenarchitektur gebaut, mit zwei Portalen im hinteren Bereich, eine Art Herrschaftsarchitektur für all die von Verdi in ausladenden Chor- und Ensembleszenen auskomponierten Haupt- und Staatsaktionen, die sich aber dank der Video-Überblendungen gleichsam verflüssigt und wandelt in den Wald bei Dorémy, in einen Rosenhag für Giovanna, in ein loderndes Feuermeer, das schon zu Beginn Giovannas Tod auf dem Scheiterhaufen vorwegnimmt.
Doch was sich in dieser Zauberwelt abspielt, das ist Operntheater aus der Mottenkiste im Fundus-Historismus von Uta Heisekes Ritterspiel-Kostümen: Gereckte Fäuste, wildes Gestikulieren, flehend emporgestreckte Arme, wackeres Schulterklopfen der Kampfgefährten, wehende Standarten, scheppernde Rüstungen, blitzende Schwerter. Otto Schenk, seligen Angedenkens, hätte sich geschämt für solchen Biedersinn, von dem man nie weiß ob freiwillig oder unfreiwillig komisch, so dass man zunächst vermutet, es gehe den beiden Fettfilmern um die Parodie der alten Oper.
Und tatsächlich: Am Ende des zweiten Aktes, also genau an der Stelle des erwähnten Handlungsbruchs im Libretto, schert die Inszenierung aus der reinen Handlungs-Nacherzählung aus. Statt vom empörten Volk aus der Stadt gejagt zu werden („Fuggi, o donna maledetta, esci omai da queste mura“), wird Giovanna hier ans Kreuz gebunden und verbrannt. Und in der kurzen Unterbrechung zwischen den Akten werden wir per Schriftprojektion im ornamentalen Stummfilm-Design aufgeklärt, dass dies das wahre historische Ende der gottbeseelten Jungfrau gewesen ist. Was dann kommt, ist zunächst ein langer Gesang Giovannas im brennenden Feuer und schließlich eine Ausweitung der Perspektive auf die per Video vergegenwärtigten Kriege aller Zeiten. Dumm ist nur, dass die Personenführung hier genau so unbeholfen bleibt wie zuvor. Und fatal ist, dass diese Ausweitung des historischen Deutungsraums ins Überzeitliche und schließlich Giovannas doppelte Apotheose als Engel und Kriegsgöttin dem historischen Biedersinn zuvor vollkommen unvermittelt gegenübersteht: aufgesetzter Schlusscoup einer Regie, die entweder nicht weiß oder nicht kann, was sie will.
Was den Abend rettet, ist das in hohem Maße stil- und geschmackssichere Dirigat von Will Humburg. In Verdis wuchtigen Ensembleszenen kann man es ja richtig krachen lassen – aber nur um den Preis, dass sie dann ziemlich trivial lärmend wirken. Humburg dagegen feilt Strukturen und Details minutiös heraus, gibt den Tempowechseln klare Konturen, macht den traditionellen, aber musikdramatisch wohlproportionierten Bau der Arien plastisch spürbar. Leider lässt es der Chor vor allem im Prolog und im ersten Akt bisweilen an der nötigen Präzision und Agilität fehlen, singt allerdings sonst mit zunehmend werkdienlicherem Furor. George Oniani gibt den Carlo mit der etwas knalligen Grandezza des alten Cabaletta-Haudegens, im Piano klingt sein Timbre gelegentlich brüchig, die Intonation wackelt, aber er füllt die Partie idiomatisch aus. Maxim Aniskin singt Giovannas Vater etwas ausdruckstriefend und verschwommen in der Linie, alles in allem aber wohlklingend, mit weichfülligem Bariton.
Die Sensation des Abends aber ist Jacquelyn Wagner in der Titelpartie. Ihr Sopran ist silberklar und gertenschlank, er turnt mühelos durch all die kleinen Ausdrucks-Koloraturen, die Verdi dieser an sich dramatischen Partie appliziert hat, trägt aber auch in den großen Ausdrucksbögen mühelos, ohne dabei, von wenigen leicht spitzen Höhen und grellen Fortetönen abgesehen, im eigentlichen Sinne laut zu klingen. Die Reinheit der Titelfigur bringt Wagner wunderbar zum Klingen, findet aber auch bewegende Farben und Klänge für deren Seelennöte. Großer Beifall für alle Beteiligten.