Lisa Stiegler als "Der Schrecken" am Residenztheater

Vexierspiel

Schorsch Kamerun: M (3) - Eine Stadt sucht einen Mörder (Hässliche Furcht oder schönste Gegenwehr?)

Theater:Residenztheater, Marstall/Münchner Biennale, Premiere:26.09.2020 (UA)Regie:Schorsch KamerunKomponist(in):Schorsch Kamerun, Johannes Öllinger

Die Hoffnung war groß, dass Teil Drei dieses Projekts nach einem Hörspiel-Auftakt im Mai, genannt  M (1), und einem sommerlichen Happening vor dem Marstalltheater als M (2) nun mit M (3) endlich eine spannende „Konzertinstallation nach Fritz Lang und Thea von Harbou“ wird, wie sie ursprünglich im Marstall als Koproduktion von Residenztheater und „Biennale für zeitgenössisches Musiktheater“ im Mai geplant war. Corona-bedingt konnte die in der Schweiz lebende Cathy van Eck weder in den Probenprozess eingebunden werden, noch jetzt aus Termingründen live dabei sein und steuerte lediglich wieder ein paar „Soundscapes“ bei. So war Schorsch Kamerun zur Gänze für Text, Inszenierung und Musik verantwortlich, trat daneben mit kleiner Band als zentraler Sprecher und Sänger auf. Und das trotz des umfangreichen Personals, das jede Menge Assoziationen, Gedanken und allerlei Wortgirlanden beisteuerte, die wild von diversen Ängsten und Bevormundungen, der Bespitzelung der Bürger, von Aggression, Fremdenfeindlichkeit, Kontrollzwang und -verlust erzählten, immer natürlich vor dem Hintergrund dessen, was die Corona-Pandemie gerade mit uns allen macht, oder, wie Kamerun schreibt, „dass wir gerade einen Teil unserer Freiheit in zynisch erzeugter Flatterpanik an der Garderobe abgeben“.  M steht hier und heute nicht für Mörder, sondern für München und so lautet ein zentraler Satz: „Es sind eure Gespenster, die ihr jagt.“

Am Ende gab es trotzdem den Kindermörder aus Fritz Langs berühmtem Film „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ von 1931, auf den sich das Projekt bezieht und den seinerzeit Peter Lorre so abgründig irre wie verletzlich spielte: Jetzt ist es wieder wie schon bei M (2) die weißgekalkte, ebenso zarte wie androgyne Lisa Stiegler. Doch sie ist alles andere als „Der Schrecken“, wie sie im Programmheft genannt wird, wenn sie am Ende verängstigt um die Außenmauern des Marstalls schleicht, in dem das Publikum sitzt, und um Leben und gerechte Behandlung fleht. Per Handkamera wird sie in den Saal übertragen, spielt und spricht aber auch live vor Ort im Saal. Das freilich macht keinen Unterschied, denn das Meiste ereignet sich in einem schalldichten Glaskasten, der freilich raffiniert optisch durchlässig war und man – Film macht‘s möglich – glauben konnte, man könne direkt auf den Marstallplatz und die gegenüberliegende Fassade schauen (Bühne: Katja Eichbaum). Akustisch ist man direkt und sehr plastisch dabei über Kopfhörer, ohne die man so gut wie nichts hören kann. Das ist ein raffiniertes optisch-akustisches Vexierspiel, auch wenn man die vielfältigen, ermüdenden Aktionen, die backstage und im Eingangsbereich stattfinden und schwarz-weiß über mehrere Monitore sichtbar sind, irgendwann einfach satt hat.

Fast ist man froh über ein obskures, prallbuntes Mittelalter-Spektakel gegen Ende der 70 Minuten, das mit entsprechend kostümierten Schauspielerinnen und Schauspielern, die sich wie Puppen stereotyp in einer Endlosschleife bewegen, aussieht, als wäre man in einer Geisterbahn. Über Sinn und Zweck braucht man sich gar nicht erst den Kopf zu zerbrechen, wie es auch egal ist, was an Dialog-Partikeln und Szenenbeschreibungen wörtlich aus dem Film stammt, wie etwa der abgründige Abzählreim „Warte nur ein Weilchen, dann kommt der schwarze Mann zu dir und macht mit dem Hackebeilchen Schabefleisch aus dir.“ Das bei Lang so wichtige musikalische Leitmotiv, den prägnanten Beginn von „In der Halle des Bergkönigs“, das der mutmaßliche Mörder mit dem weißgekalkten M auf dem Rücken immer wieder grell pfeift und was ihn schließlich überführt, wird hier mit seltsamer Ironie genannt „ein Motiv von Edvard Grieg, unmelodisch“. Schade, dass sich Kamerun dieses Zitat als Teil seiner Musik hat entgehen lassen. Noch bedauerlicher ist, dass der Text so wortreich im Nebulösen stochert. Denn Schauspielerinnen wie Lisa Stiegler (als M), Evelyne Gugolz, Yodit Tarikwa und Massiamy Diaby oder Schauspieler wie Oliver Stokowski (als Apparatschick) und Valentino dalle Mura machen ihre Sache ausgezeichnet, auch wenn man die im Programmheft genannten Charaktere und Berufsbezeichnungen nur mit Verwirrung zur Kenntnis nehmen kann.

Wo im Film Arbeitslosigkeit und Armut den Hintergrund bilden, eine mafiöse Unterwelt gegen die Ordnungsmacht Polizei agiert und am Ende die drohende Selbstjustiz einer ganzen Stadt gegen einen psychisch kranken Mörder thematisiert wird, mäanderte das Hörspiel zwischen den Stimmen ohne erkennbare Fokussierung hin und her, Furcht, Angst und Schrecken immer wieder diffus umkreisend. Vieles wird mit der Szene konkreter, aber kaum sinnfälliger. Wenn etwa nun ein Kunstkollektiv namens „PolizeiKlasse“ mitwirkt, dann muss uns Schorsch Kamerun schon im Programmheft erklären, dass dieses sich „im Protest gegen das Polizeiaufgabengesetz gefunden hat“; szenischen oder inhaltlichen Mehrwert bedeutet das kaum.