Send in the Clowns...

Veteranentreffen

Friedrich Dürrenmatt: Der Besuch der alten Dame

Theater:Ruhrfestspiele Recklinghausen, Premiere:03.05.2018Regie:Frank Hoffmann

Frank Hoffmann serviert Dürrenmatts düstere Komödie mit einem Ü40-Ensemble als altmodischen, aber sehr heutigen Genuss.

Diese „Alte Dame“ ist ein altmodischer Genuss, nicht verstaubt, nicht gestrig, aber eben bekennend altmodisch. Frank Hoffmann, der scheidende Intendant der Ruhrfestspiele, kennt sich durchaus aus in der heutigen Theaterszene.  Am Anfang scheinen die Güllener Honoratioren einer Marthaler-Inszenierung entsprungen – und singen dann auch, mit angemessener Scheußlichkeit, im Ensemble „Heimat, deine Sterne“. Dazu thalheimert es hier und da, erscheint der Text szenenweise brachial auf seine Essenz reduziert, anderswo fast keck umspielt und überschrieben, stürzen immer wieder Figuren ansatzlos zu Boden, einfach so. Und auch der gute alte Papa Brecht ist spürbar als Einfluss. Da wird etwa das ‚R’ gerne gerollt, sowohl zur Distanzierung und Herstellung von Künstlichkeit als auch als ironische Anspielung auf das schauspielerzentrierte Theater der Nachkriegszeit, in das ja auch Dürrenmatt seine Stücke hinein geschrieben hat. Und teilweise werden geographische Bezeichnungen der Recklinghäuser Topographie angeglichen – und zwar dezidiert nicht um des billigen Lachers willen, sondern um dem Publikum zu ‚helfen’, den Kleinbürger in sich zu entdecken und anzuerkennen. Beispielsweise durch Lachen unter Niveau.

Bei all dem geht es Hoffmann vordringlich um zweierlei: er will Raum schaffen für Sprache und Figuren; und er will, tatsächlich, die Heutigkeit von Dürrenmatts Plot zur Diskussion stellen. Wie etwa halten wir es mit dem in der dieser erzdüsteren Komödie problematisierten Gerechtigkeitsbegriff? Finden wir heute Gut und Böse in diesen Figuren? Finden wir uns?

Es gelingt eine rhythmische, fast musikalische Aufbereitung des Stoffes in Ben Willikens’ sehr rationellem und doch zeichenreichem und variablem Raum. Susann Bielings gleichzeitig subtile und absurde Kostüme drehen das Rad sogar noch einen Schritt weiter. Wie etwa der Lehrer immer weiter unter neureicher Lederkluft verschwindet, hat einen ganz eigenen Schauwert.

Größtes ästhetisches Statement ist jedoch die Besetzungspolitik. Hier wirkt kein Schauspieler unter 40 mit. Die meisten sind deutlich älter. Man hört und sieht ihnen an, das sie in einer anderen, vergangenen Zeit künstlerisch sozialisiert worden sind. Es wird wenig gehetzt, wenig geschrien. Die Geschichte darf sich entwickeln, die Komik scheint sich von selbst zu entblättern, nichts erscheint dick aufgetragen. Die Veteranen Hans Dieter Knebel (Butler), Rolf Mautz (Ehemänner und Pressemann) und Michael Abendroth (Pfarrer), alle so um die 70, drücken der Inszenierung allein durch ihre Aura und ihre Sprachkompetenz einen ganz eigenen, bereits heute fast fremd wirkenden Stempel auf. Angeführt von Roland Koch (Bürgermeister) und Dietmar König (Lehrer), die beide mit zum Erschrecken komischen, offensichtlich genau gearbeiteten und doch frei schwingenden Monologen zu begeistern verstehen, schwingen sich so die Dorfhonoratioren zum dritten Protagonisten auf, was der Inszenierung ein ganz eigenes Gleichgewicht schenkt. Das wiederum entsteht nur, weil Burghart Klaußner als Ill zu Beginn glaubhaft Teil dieser Gruppe ist, ein blasser, ungelenker Mann, an dem das Leben vorbei gelaufen ist. Die Entwicklung dieser Figur zum unabhängigen, zu seiner Schuld stehenden Menschen nimmt man ihm gerne ab, eine gewaltige schauspielerische Leistung. Neben der Maria Happel mühelos besteht. Ihre Claire ist ein Kunst-Monster in der Erscheinungsform einer Kindfrau. Freundlich entspannt nach außen, scheint sie ihren eigenen humanen Kern abgeschrieben zu haben, nicht mehr erreichen zu können. So entwickelt sich in den Szenen zwischen ihr und Ill eine ganz eigene, unaffektierte, die Vergangenheit mühelos spiegelnde Zärtlichkeit. Wie gesagt, wenig neues unter der Sonne. Aber eine klar disponierte und dabei nicht haltungslose künstlerische Arbeit.

Und, ach ja, wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, das Güllen wirklich immer noch überall ist: die Aufführung fing mit leichter Verspätung an. Und zwar nicht nur, weil die sponsorengestützte Prominentenvorspeisung  offenbar erst spät ihre Pforten schloss, sondern auch weil Ministerpräsident und Bundesgesundheitsminister noch seelenruhig Hände schüttelten und sich gegenseitig ihre Bekannten vorstellten. Das hätte zum vorgeschalteten Inszenierungscoup durchaus getaugt.