Foto: Orchester, Puppenspieler und Sänger im Erfurter "Ring an einem Abend". © Lutz Edelhoff
Text:Ute Grundmann, am 8. Februar 2013
Wotan schaut immer mal wieder von ganz oben herunter auf seine Welt. Die ist nicht nur in Unordnung, sondern auch ziemlich bevölkert. Denn jede der Figuren darin gibt es mehrfach. Ob Siegfried, Alberich oder Loge: Dem Sänger steht eine Puppe zur Seite, die wiederum von zwei Spielern bewegt wird. So haben das Theater Erfurt und das Erfurter (Puppen-)Theater Waidspeicher Richard Wagners Ring des Nibelungen nicht nur auf einen, allerdings langen, Abend komprimiert, sondern auch eine Fülle von Ausdrucksmöglichkeiten geschaffen.
80 Prozent des Werkes haben Dirigent Samuel Bächli und Regisseur Christian Georg Fuchs gestrichen. Was übrig blieb, hat Juri Lebedev für 17 Musiker neu instrumentiert. Die sitzen offen vor der kleinen Bühne des Studios, auf der ein dreistufiges Bühnenbild (Mila van Daag) errichtet ist. Das bietet so nicht nur Unter-, hiesige und Himmels-Welt, sondern auch schmale Auftrittsstege für Sänger und Spieler.
Man hat sich für japanische Bunraku-Puppen entschieden, mit ausdrucksvoll geschnitzten Köpfen, Händen, Füßen und einem Körper aus Tuch, mit dem ein Spieler Bewegungen andeuten kann. So haben die Rheintöchter Nixenkörper, die in einem Zopf enden, Wotan kommt als grimmig-melancholischer Samurai daher und Brünnhilde kann in ihrem Flatterkleid samt Brustpanzer sogar fliegen – Kathrin Sellin und Udo Schneeweiß bauten die zauberhaften Figuren.
Und es wird nichts versteckt, sondern offen Theater gespielt: Die blauen Wasser-Tücher werden abgezogen, Requisiten rein- und rausgetragen und auch die vermummten Puppenspieler sind sichtbar. So wird jede Figur komplexer: Der Sänger (alle Sänger in einheitlichem Schwarz) gibt ihr mit Stimme und Mimik Konturen, bewegt zugleich die rechte Hand der Puppe, für Kopf und linke Hand sowie die Füße sind zwei Spieler zuständig. Und so umarmt dann die Brünnhilde-Puppe den Wotan-Sänger, während die Wotan-Puppe mit gezücktem Schwert daneben steht. Oder die Siegfried-Puppe fliegt im Kampf mit dem Drachen (ein Dino-Knochenkopf links, der Schwanz rechts) hin und her. Die Freya-Puppe wird von den Riesen einfach in ein Schmetterlingsnetz gestopft. Und wenn Siegmund das Schwert „befreien“ soll, schaut Wotan erst von oben zu und hält ihm dann auf der unteren Ebene das Schwert entgegen.
Das alles macht weder die Wucht der – im Wesentlichen erzählten – Geschichte noch die der Musik kleiner oder niedlicher. Es fügt ihr eine spielerische, aber ernsthafte Komponente hinzu. Getragen wird die Aufführung zusätzlich durch vorzügliche Sänger, ob Máté Sólyom-Nagy als eher melancholischer Wotan, Stephanie Müthers ausdrucksvolle Brünnhilde oder Markus Petsch als Siegmund und Siegfried, dessen kühn geschnitztem Kopf er die entsprechende Stimme verleiht. Und auch die Kammerformation des Philharmonischen Orchesters Erfurt unter Samuel Bächli spielt keinen „kleinen“ Wagner, sondern leuchtet Farben, Akzente, Motive aus, eine „Kammeroper“ nur dem Namen nach. Nur das Gespräch zwischen Gunther und Hagen, mit dem die Täuschung Brünnhilds vorbereitet wird, mit Barmusikgeklimper zu unterlegen, war keine gute Idee, das bricht den sonst stimmigen musikalischen Rahmen dieser dreieinhalb Stunden. Zum melancholischen Schluß kauern sich noch einmal alle Puppen an den Wotan-Sänger und zurück bleibt allein die zusammengesunkene Puppe des Helden Siegfried.