Jörg Mannes' "Wahlverwandtschaften" an der Staatsoper Hannover

Versuchsanordnung

Jörg Mannes: Wahlverwandtschaften

Theater:Staatsoper Hannover, Premiere:08.02.2014Musikalische Leitung:Mark RohdeKomponist(in):Felix Mendelssohn Bartholdy, Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Sebastian Bach

Rot, Grün, Blau, Gelb: Jörg Mannes entwickelt sein Ballett über Goethes „Wahlverwandtschaften“ an der Staatsoper Hannover nach dem Muster der zeitnah entstandenen Farbenlehre. So sind Charlotte, ihr Mann Eduard, die Gäste Otto und Ottilie bei all ihren erotisch grundierten Verwicklungen gut voneinander zu unterscheiden. Und auch der Experimentcharakter dieser frühen Beziehungskistenwechselspiele wird so betont: die chemischen Anziehungen und Abstoßungen, die Goethe seinen Swingerfantasien in freier Natur entschuldigend unterschiebt, entsprechen so auch den Kombinationen und Brechungen seiner Farblichttheorien. Dass Mannes die Figuren dann noch vervierfacht, erhöht zwar wiederum den Charakter rein formaler Kombinatorik eines Experiments – und sorgt auch für eine Charlottes Gartenreich entsprechende ornamentale Nutzung der Bühne; aber es erschwert auch die Identifizierung der individuellen Reize, die die vier Hauptpersonen wechselweise zusammentreiben. Und die Entwicklung der Emotion, dem unabdingbaren Katalysator des Experiments.

So sind denn die Pas de deux stets ein einziges Schwingen und Taumeln und Sich-In-die-Arme-Werfen. Den zentralen „Ehebruch“ des Werks, bei dem die Eheleute mit dem Bild des jeweiligen Geliebten im Kopf miteinander schlafen, zeigt Mannes als Ehepaar im Spot, jeweils ausgreifend zu den Partnern im Schatten drumrum. Den Solisten gelingt es unterschiedlich gut, ihren Charakter und Gefühle zu entwickeln. So verkörpert Denis Piza als Eduard am ehesten erotischen Überschwang und im Pas de deux mit einem seiner drei Doubles (Rubén Cabaleiro Campo) auch packend eine schmerzliche Zerrissenheit, denn die Gefühle für seine Frau sind ja wegen der anderen nicht erkaltet. Ziellos irrt er durch die Phalanx der vier Ottilien, so schafft Mannes‘ Ornamentik zuweilen sogar Sinn. Zuletzt rennt Piza wild durch die Kriegsheere und kugelt sich über den Boden, als wollte er vor sich selber fliehen.

Catherine Franco zeichnet als Ottilie sehr schön die scheue Besucherin, die der hier waltenden Freiheit innerlich fremd gegenübersteht. Anrührend, wie sie im letzten Pas de deux mit Eduard den eher traurigen Widerpart gibt, zusehends teilnahmslos wird und zuletzt tot niedersinkt: Es gibt offenbar Elemente, die in solchen chemischen Wahlverwandtschaften aufgezehrt werden. Auch die Beziehung von Charlotte (Cássia Lopes) und Otto (Patrick Michael Doe) misslingt. Vermutlich sind Menschen, eben weil sie Emotionen haben, solchen Experimenten nicht gewachsen. Ob Matthias Fischer-Dieskau deshalb den zentralen Bühnenhintergrund leer und düster lässt, als würden die Figuren jeden Moment in ein schwarzes Loch aufgesogen?

Immerhin sorgt Mannes mit den lustig volkstümlich-männlichen, sich entsprechend kratzenden Gärtnern zunächst auch für heitere Elemente auf der Spielwiese. Die auf dem Tisch zur Schau gestellte freie Erotik von Graf und Baronin gerät zu plakativ. Mannes‘ stilistische Vielfalt und die gelungenen Tableaux geben diesen „Wahlverwandtschaften“ eine gute Versuchsgrundlage, der noch stärkere individualisierende Emotion guttäte.