Regisseur Frederik Tidén legt den Fokus des Stücks, das für zwei Schauspieler und einen Chor geschrieben ist, auf die psychologisch zwanghafte Verbundenheit des Opfers zum Täter. Der münsterische Laien-Chor (in jeder Vorstellung steht ein anderer auf der Bühne), quasi Sprachrohr der Gesellschaft, sorgt durch seine Lieder für sakrale, melancholische Atmosphäre und steht auch mal stumm, wie zur Erinnerung auf der Bühne. Die Dialoge spielen sich vor allem zwischen Regine Andratschke alias Claire und dem jungen Bálint Tóth ab. Dass letzterer neben der Rolle des Attentäters weitere Charaktere verkörpert – den alkoholsüchtigen Vater, einen rechtspopulistischen Parteigenossen, Claires Psychiater, sogar ihre Geliebte – ist mitunter irritierend, macht aber eine Stärke der Inszenierung aus, denn natürlich kann das Drama keine schlüssigen Antworten liefern.
Die Figur des Amokläufers bleibt in der Schwebe, auch wenn der wandlungsfähige Bálint Tóth Hinweise bietet als er hilflos-stotternd auf der Bühne steht, ein Häufchen Elend, das Schutz unter einer Fellmaske findet. Ein Berserker ist er dann, gefährlich-ruhig und unberechenbar, auf der Suche nach Macht und Ruhm. Claire presst er die Maske mit Gewalt auf, später kriecht sie freiwillig unter seinen Pulli: „Wie kann ich ihn hassen, wenn ich ihn nicht verstehe?“ ist ein zentraler Satz, der lange nachwirkt.
Regine Andratschke trägt etwas dick auf, die Verzweifelte nimmt man ihr dennoch ab. Unter Tidéns Regie gelingen eindrucksvolle Szenen, etwa, wenn sich Claire in Schamanismus flüchtet und dabei durch einen Hexenschuss voll ausgebremst wird – ein Moment zwischen Lachen und Weinen, der ihr Elend umso plastischer macht. Berührend auch der Alptraum am Schluss, als die Frau glaubt, den Attentäter vergiftet zu haben und zum ersten Mal ein Hauch von Glück spürbar wird. Doch der Mörder steht immer wieder auf, Claire wird ihn einfach nicht los. Ein starkes Stück.