Foto: Revolte in Konstanz © Bjørn Hansen
Text:Manfred Jahnke, am 30. Mai 2021
Jetzt geht es los, Schlag auf Schlag. Und, wenn die Zuschauerräume wie in Konstanz noch geschlossen bleiben müssen, dann geht man ins Freie, an die Westseite des romanischen Münsters „Unserer Lieben Frau“. Vor dessen Mauern sind wie in einer Zirkusmanege im Halbrund fünf schmale Podeste angeordnet, auf vieren davon stehen Musikinstrumente und Mikrofone. Das mittlere hingegen stellt eine Art Drachenmaul mit großen Zähnen dar, so kulissenhaft wie bei einer Jahrmarktsattraktion (Ausstattung: Lena Schön, Helen Stein). Ergänzt wird das Bild durch eine große Tatze jeweils rechts und links außen. Über diesem Mix aus circensischen und Kirmeselementen schwebt, wenn auch nicht direkt angespielt, der gekreuzigte Jesus an der Wand des Münsters.
Die Erwartungen, die diese Szenerie auslöst, werden nicht enttäuscht. Vier Powerfrauen und ein Mann im blauen Anzug erstürmen die Podeste und fetzen los. Die Frauen sind alle grotesk anzusehen, mit großen buntfarbigen Perücken, die Augenränder grellrot geschminkt, mit farblich schrillen Gewändern. Nur ein Material – dünnes helles Leder vielleicht – taucht bei den drei Spielerinnen auf, bei der einen durchlöchert an den Beinen, bei der zweiten um die Hüfte geschlungen und bei der dritten um die Schulter und Brust geworfen. Und sie spielen auf: Freya Bachmann am Schlagzeug und Jonas Pommnitz an der Gitarre, die die Gruppe The Sound Monkeys bilden, die mit ihrem Indie Punk in der Szene einen Namen hat. Die drei Schauspielerinnen Maëlle Giovanetti, zumeist am Schlagzeug, Bineta Hansen Vocal und Pauline Werner am Keyboard, haben musikalisch genauso viel drauf wie die Indie Punker und verausgaben sich mit Energie im folgenden Punkkonzert total. Die Songs haben sie zumeist selbst komponiert und geschrieben, ein paar Riffs von Pommnitz ragen heraus.
Wie diese Fünf powern, wie sie das Publikum anspielen, wie sie überzeugend vorführen, was ihnen am Herzen liegt, ist neben dem Punk der eigentliche Sound des Abends. Die Szenen zwischen den Songs wirken improvisiert, weil sie ganz Persönliches performen, obschon die Texte collagiert sind. Sei es Hate Speech wegen einer nicht schlanken Figur und den Folgen für die junge Frau, von der Bineta Hansen erzählt, sei es die Aufforderung, die Welt zu verbessern: „Wir glauben, allen kommt eine Rolle und Verantwortung zu, die Welt besser zu machen. Die Alternative ist, dazu beizutragen, dass die Welt schlecht wird, oder dabei tatenlos zuzusehen.“ Was sich naiv anhört, bekommt nicht nur in den Songtexten wie „In this world, where no one is free/Do I need a new identity“ (Text und Komposition: The Sound Monkeys) eine Dringlichkeit, sondern auch im Spiel, gipfelnd in der Erinnerung an die Gruppe Pussy Riot in Russland, die wegen ihres Songs in einer Ostkirche den Zorn des Patriarchen auf sich zogen und zu zwei Jahren GULAG verurteilt wurden. Da drückt sich die Wut auf die Menschenrechtverletzungen, die von den meisten Menschen gleichgültig hingenommen werden, musikalisch aus.
Weil es der Regie von Franziska Autzen gelingt, trotz aller Power in den anmoderierten Szenen die Wahrhaftigkeit der Haltungen wie „I hate the world and myself“ so herauszuarbeiten, dass diese nicht nur vorgespielt, sondern authentisch wirken, ist ein spannender Theaterabend nicht nur für ein jugendliches Publikum entstanden. Es macht einfach Spaß, den Spielerinnen zuzuschauen. Und weil sie denn doch an die Erlösung der Welt durch die Kunst glauben, fliegen ihnen alle Sympathien zu. Nur der gekreuzigte Jesus schaut (scheinbar?) unbeteiligt zu.