Foto: Der Puppenspieler Falk P. Ulke mit der Puppe Lizio und dem Schauspieler Jan Krawczyk. © Erhard Driesel
Text:Susann Winkel, am 16. April 2012
Trägt eine Inszenierung den Zusatz „für Erwachsene“, dann appelliert sie entweder an den Verstand oder an die Libido. Das „Decamerone“ nach Boccaccios berüchtigtem Novellenzyklus bemüht sich um beide. Die nun in Meiningen uraufgeführte Bühnenfassung von Manfred Schild geht gleich ein dreifaches Wagnis ein. Sie reduziert das stilbildende Riesenwerk nicht nur auf sieben Episoden und verschweigt seine historische Ausgangslage – die Pest. Sie lässt die Geschichten auch gleichermaßen von Puppen- und Schauspielern darstellen.
Was das erste, für die Bühne zwangsweise Wagnis betrifft, so kommt der Dichter Regisseur Ulrich Kunz zu Hilfe. Seine Erzählungen über den Gesellschaftsverfall im neuen Zeitalter des Geldes sind so anschaulich und lebendig geschrieben, dass jede einzelne zur Not auch für sich alleine stehen kann: Die beiden Halunken, die den toten Erzbischof um seinen Ring erleichtern wollen. Oder der lüsterne Geistliche Felice, der den frommen Puccio zum Beten auf das Dach schickt, um mit dessen Frau den Teufel ungestört im Ehebett zur Hölle zu schicken. Es geht frivol zu und derb in der gut zweistündigen Vorstellung. Doch es fehlt das Untergangsszenario, der Schwarze Tod, der 1348 so grausam in Florenz wütete. Vor ihm lässt Boccaccio seine Figuren in ein Landhaus flüchten und sich mit zehn Geschichten an zehn Tagen die Zeit vertreiben. Die Pest ist bei ihm zugleich Symbol für eine siechende Gesellschaft, die das „Dekameron“ wortgewaltig vorstellt und auf das Schärfste kritisiert.
In Manfred Schilds Fassung nun werden die Episoden daraus zum Anschauungsunterricht für einen pedantischen, des Lebens überdrüssigen Gelehrten, der 15 Jahre die Geschichten des Boccaccio studierte, ohne den Lebenshunger ihrer Figuren zu verstehen. Aus raffiniert konstruierter Gesellschaftskritik wird so ein schlichtes Carpe Diem, ein „verschenke dich an die Zeit“, wie es im Text so treffend heißt. Damit aber geht den Erzählungen viel von ihrer Doppelbödigkeit verloren. Was bleibt, ist ein zügelloses, wenngleich amüsant zu betrachtendes Bedienen an den Verlockungen des Lebens.
Das dritte Wagnis, das ebenbürtige Spiel von Puppe und Mensch, ist geglückt. Mit Witz und Tempo spielen Sebastian Putz und Falk P. Ulke etwa die beiden Halunken, während Reinhard Bock geradezu köstlich den überrumpelten Tölpel gibt. Tatsächlich gelingt es den Spielern in ihren schwarzen Kutten, völlig hinter den markanten Klappmaulpuppen zu verschwinden. Der beachtlichste menschliche Gegenpart ist ihnen dabei Gastspieler Jan Krawczyk, der den poetisch werbenden Pferdeknecht ebenso überzeugend mimt wie den geilen Pfaffen. Bei dem schnellt dann auch tatsächlich der überdimensionierte Penis aus der Kutte. Ein Phallus wie ein Fingerzeig, es nur recht bunt zu treiben, so lange noch Gelegenheit dazu ist.