Foto: "Static Time", der erste Teil des dreiteiligen Abends "Duato / Kylián" am Berliner Staatsballett © Fernando Marcos
Text:Suzanne Frost, am 15. Mai 2015
Düster beginnt „Duato / Kylián“, dieser so wichtige Abend am Staatsballett. Endlich, nach sechsmonatigem Beschnuppern, vorsichtigem Kennenlernen und Einstudierungen älterer Werke hat Nacho Duato – seit dieser Spielzeit Intendant und Chefchoreograph am Staatsballett Berlin – dem Ensemble eine erste Uraufführung auf den Leib geschneidert. Erwartung und Erfolgsdruck waren groß. Eine knappe halbe Stunde Melancholie und Schmerz ist „Static Time“ nun geworden und eröffnet den dreiteiligen Abend mit Gedanken über vergehende Zeit, Abschied und Erinnerungen. Drei Episoden zu langsamen kammermusikalischen Sätzen von Mozart, Rachmaninow und Schubert werden zusammengehalten von Einspielungen reduzierter Zwischenmusik von den Komponisten Perdo Alcalde und Sergio Caballero. Die Tänzer, in trübem grau-violett (Kostüm und Bühnenbild stammen von Duatos langjährigen Weggefährten Angelina Atlagic und Jaffar Chalabi) umklammern einander, tragen, stützen sich gegenseitig und brechen doch immer wieder zusammen, winden sich am Boden. Herzstück dieser Choreographie ist ein Männerduet zweier Verzweifelter (Dominic Hodal und Arshak Ghalumyan), die sich gegenseitig brauchen, sich festhalten, aneinander lehnen – doch bleibt einer schließlich am Boden liegen. Er scheint den Abschied schon zu ahnen und steht nicht wieder auf. Sind diese Szenen Erinnerungen eines Verstorbenen oder eines am Leben Verzweifelten, der aufgibt? Das restliche Ensemble starrt in kollektivem Schrecken in einen imaginären Abgrund und klammert sich ängstlich aneinander. Geht es um Tod, um Krankheit, Depressionen? Duatos Bewegungssprache ist introvertiert und will sich nicht recht offenbaren, ist eher Skizze als Gemälde, mehr Poesie denn Prosa.
Jirí Kyliáns „Click-Pause-Silence“ (2000) ist eine Étude, ein Spiel mit verschiedenen Lichteinstellungen und unvermittelt starken Soundeffekten. Ein Fernseher auf der Bühne, der die Tänzer im Ballettsaal beim Proben eben jenes Stückes zeigt, verstärkt den unfertigen Charakter. Kylián, der künstlerische Ziehvater Duatos, zeigt etwas mehr Humor und Leichtigkeit, doch durch das viele Stop and Go baut sich so recht keine Dynamik auf.
Der dritte Teil des Abends „White Darkness“ von 2001 beschäftigt sich mit Drogenabhängigkeit und kann als Requiem auf Duatos Schwester gedeutet werden, die an ihrer Sucht starb. Krasina Pavlova spielt diese verlorene Frau fragil und berührend. Weißes Pulver rinnt ihr durch die Hände, rieselt von der Decke, verteilt sich über den ganzen Bühnenboden. Mikhail Kaniskin ist ihr Partner, der sie nicht retten kann. Am Ende versinkt die Tänzerin hilflos in die Knie gezwungen von niederstürzendem weißem Staub. Das Ensemble kann hier viel Energie zeigen, Gier, Zügellosigkeit, Übermut, Halluzinationen. Deutlich sieht man nun Duatos präzise Musikalität, jede Note, jede Phrase wird hervorgearbeitet in komplizierten, temporeichen Kanons der Tänzer. Herrlich klingen die „Adiemus Variations“ von Karl Jenkins gespielt von der Staatskapelle Berlin. In diesem dritten Stück, dem älteren Werk, springt der Funke über. „White Darkness“ beschert dem Intendanten endlich den so sehr benötigten Erfolg. Das Publikum bejubelt Nacho Duato und sein Staatsballett.