Diese radikale Konzeption hat zur Konsequenz, dass der Inszenierung die oben angedeutete Gesellschaftskritik mangels der dazugehörigen Gesellschaft weitgehend abhanden kommt. Andererseits gelingt es von Peter mit bemerkenswertem Geschick, Violettas hysterischen Liebesautismus durch individualpsychologische und biographische Andeutungen zu legitimieren – auch dank der Bedingungslosigkeit, mit der sich diese Ausnahmeprotagonistin mit ihrer Partie identifiziert. Immer wieder staffiert sich Nicole Chevalier mit Kleidern aus Geraldine Arnolds Kostümkonfektion aus: einer Festrobe, einem weißen Tutu, einem roten Rock. Sie wirbt um Anerkennung für ihre Liebe, aber sie wirbt mit den Mitteln der Kurtisane, die sich als Objekt ausstellt. Schon in diesem Widerspruch liegt der Keim des Scheiterns, das sie zwingt, ihre Liebe nur mehr als Projektion zu leben. So bleibt ihr nur der einsame Liebestod, und wir sind ganz nah bei „Tristan und Isolde“. Aber selbst noch dieser Tod wird ihr zur Werbung um Aufmerksamkeit: Sie will als Märtyrerin der Liebe in Erinnerung bleiben. In einer musiklosen Sequenz vor Beginn des vierten Aktes fleht sie geradezu ins Publikum: „I am Violetta Valéry. This is for you. Stay here. Stay with me!“
Wie Nicole Chevalier das macht, geht wahrlich unter die Haut. Und dabei singt sie auch noch famos, stilistisch in der von Maria Callas begründeten und hier natürlich zwingend passgenauen Tradition eines „psychologischen“ Singens, vokal mit hellfunkelndem Timbre, in hochemotional aufgeladener Stimmführung und Artikulation. Am Ende lag ihr das Publikum zu Füßen, was einerseits hochverdient war und andererseits vor allem gegenüber dem viril-herben, ebenfalls sehr emotional aufgeladenen, dabei bemerkenswert stilsicheren Alfredo von Philipp Heo doch ein bisschen ungerecht, denn auch einen Sänger wie ihn erlebt man in dieser Partie nicht alle Tage. Aber aufgrund des ausgefallenen szenischen Settings geriet er natürlich in der Publikumswahrnehmung ins Hintertreffen. Gregor Bühl als Gast am Pult des Niedersächsischen Staatsorchesters koordinierte das Geschehen in seinen sehr anspruchsvollen räumlichen Verhältnissen ausgesprochen souverän, aber Verdis Musik klang dann doch auch sehr geradlinig und zielstrebig. Gerade in dieser Inszenierung hätte man ihre Extreme, ihre fragilen, introvertierten oder auch hysterisch ausgeladenen Aspekte durchaus intensiver auskosten dürfen.