Foto: Sarah Tuttle (La Reine Marguerite) © Stephan Walzl
Text:Jens Fischer, am 25. März 2017
Sie ist fremd hier, die Yvonne. Kraus gescheitelt und nachdenklich gefaltet des Hauptes Stirn, verlegen die Hände in den Ärmeln versteckt, aber stolz und gerade die Haltung mit keck hochgezogenen Schultern. Noch völlig unverdorben vom höfischen Opportunismus und seinen Kabalen scheint dieses verletzliche Mädchen. Ein geradezu kreatürlich naiver Gegenentwurf. Erdverwachsen mit leicht bäuerlicher Grazie. Von schwerblütiger Vitalität. Einfach abgestellt wurde sie von ihren Tanten in irgendeinem Schloss und ist nun plötzlich verloren allein unter tänzelnden Blaublütern. Und einem Prinzen, der sich langweilt, wie sich Prinzen seit Leoncens Tagen halt so langweilen. Mitten unter reichlich blasiertem Familienpack, gewaltlüsternen Schranzen und zickig aufgetakelter Damenwelt. Größer könnte der Kontrast kaum sein zur Yvonne. Ein hautblasses, sackplumpes Kleid trägt sie und ihr Hut ist trutschtantig schlicht. Zunehmend nervös zucken ihre neugierig aufgerissenen Pupillen. Der Mund aber bleibt spitz geschlossen.
Yvonne schweigt. Ist also eine Figur, die mit Dezenz darum bemüht ist, nicht aufzufallen – also extrem auffällt in einer Welt der Aufmerksamkeitsgierhälse. Yvonne sei von schlabbriger, stinkender Hässlichkeit, wie alle sagen. Was aber gar nicht stimmt, denn ihre Darstellerin Nientje Schwabe ist mit allem gesegnet, was man heutzutage eine höchst attraktive Frau nennen darf. Und was im Understatement ihres Designs noch betont wird. Im Gegensatz dazu sind all die anderen Figuren als Gecken kostümiert und perückt.
So kommt die deutsche Erstaufführung von Philippe Boesmans‘ kammermusikalisch zarter Veroperung der tragischen Farce Witold Gombrowicz’, „Yvonne, die Burgunderprinzessin“, in Oldenburg daher. Regisseurin Andrea Schwalbach macht das als hässlich Titulierte besonders schön, das als schön Behauptete besonders hässlich. Die Spannung aber bleibt. Selbstsichere Mehrheitsgesellschaft versus unsichere Fremde, die allein durch ihre Andersartigkeit exotisch reizt. Der Prinz macht ihr aus Machojux und Provokationsdollerei einen Heiratsantrag. Degradiert sie zum hündischen Kriechen an seiner Seite, andere treiben sadistischen Spiele mit ihr – oder schenken ihr Strickzeug.
Alle fürchten, sie wären erpressbar. Wegen der Leichen in ihrem Seelenkeller – seien es kitschpeinliche Ergüsse in einem Poesiealbum oder das wütende Chaos und die schnaufenden Instinkte hinter der ausgestellten Etikette. Alle fühlen sich bedroht vom Anderssein Yvonnes. Gestört in ihrer Ordnung. Sehen die zeremonielle Formelhaftigkeit ihres Daseins grundsätzlich in Frage gestellt. Nicht, dass das Yvonnes Absicht wäre. Sie ist die unbewegte Bewegerin, die Konventionen zum Einsturz bringt, indem sie diese ignoriert. In immer mal wieder auf die Bühne projizierten Animationsfilmchen sehen wir einen glibschig niedlichen Fisch, der wegen irgendwelcher Besonderheit von einem Fischschwarm ausgegrenzt und dabei zum Killerfisch wird. Yvonne ist so eine Projektionsfläche gesellschaftlicher Ängste, Aggressionen, sexueller Fantasien – was Häme, Hass und nackte Mordlust freisetzt. Schwalbach belässt es bei der allgemeinen These, Bezüge zu unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit darf das Publikum selbst herstellen.
Was sie anders macht als viele Schauspielinszenierungen des Stoffes: Die Hauptfigur ist hier nicht nur das puppenhaft autistische Mittel zum Zweck der dramatischen Beweisführung und der Anarchiesierung der Situation, sondern sie ist ein beseeltes, sehr körperliches, in ihrem extremen Bei-sich-selbst-Sein herausforderndes Wesen. Das in schüchterner Art Anschluss ersehnt, Spielarten des Etepetete nachahmt – und schließlich mit einem hinreißenden Ballett-Solo auf die schmerzhaft gescheiterten Kontaktversuche und den Zwang zur Konformität reagiert, indem sie deren Formensprache tänzerisch parodiert. Für alle anderen ist nun endgültig klar: Die muss weg. Als sie scheinheilig, wie eine Angeklagte, zur Prinzessin von Burgund ernannt wird, sieht ein geiferndes, mordlüsternes Pack maliziös lächelnd zu, wie Yvonne an einer Gräte des Festmahls erstickt.
So grotesk zugespitzt wie von Schwalbach ist der Abend ein intelligent unterhaltsamer Spaß. Die Frage, ob es dazu auch noch all der Musik Boesmans bedurft hätte, lässt sich eindeutig beantworten: jein. Einerseits wird durch den Operngesang die gezierte Hochnäsigkeit des Personals besonders deutlich und die einzige Nichtsängerin mit ihrem beredt stummen Spiel noch menschlicher. Andererseits stupst die Komposition zwar hier mal an oder spitzt dort etwas zu, begleitet aber meist das Geschehen derart illustrativ, dass das eher aufdringlich wirkt, statt neue Bedeutungsebenen zu eröffnen. Zudem unterläuft die Interpretation des Oldenburgischen Staatsorchesters unter Vito Cristofaro mit etwas arg sprödem Ernst und lauen Tempi den ironischen Esprit des fidelen Eklektizismus. Was aber die Zuhörer auch vor dem opernhaft gefühlsaufputschenden Pathosmomenten Boesmans bewahrt.
Gesungen wird durchweg prachtvoll, besonders beeindruckend in der Verbindung von komödiantischem Spiel und Stimmführung: Paul Brady als Kammerherr. Absolut herausragend aber die Fremde im Opernensemble: Nientje Schwabe, die das Schweigen viel intensiver aus der Not ihrer Figur heraus spielt, als es in der Vertonung klingt.