Foto: „Parthenogenesis“ an den Landesbühnen Sachsen. Miriam Sabba © Hagen König
Text:Nicole Czerwinka, am 22. März 2015
Stell Dir vor, Du kommst auf die Welt und Dich gibt es schon: Was wäre das für ein Leben, als Klon und Abklatsch der eigenen Mutter, deren Tochter und Zwillingsschwester zugleich? Eine Vorstellung wie im Science-Fiction-Roman, und doch ist sie heute gar nicht mehr so abwegig. Parthenogenese ist der Fachausdruck für das Phänomen der Jungfernzeugung. Aus unbefruchteten Eizellen entstehen im Tierreich so Klone des Weibchens. Der schottische Komponist James MacMillan widmete diesem Phänomen im Jahr 2000 die Musikdramatische Szene „Parthenogenesis“ und thematisierte mit dem Librettisten Michael Symmons Roberts, was in einem solchen Klonmädchen vorgehen mag.
Die deutsche Erstaufführung des Stückes folgte 2003 am Theater Magdeburg. Nun haben die Landesbühnen Sachsen das 50-minütige Werk erstmals in einer deutschen Übersetzung und in der Regie von Jan Michael Horstmann auf die Bühne gebracht. Die Bezeichnung Kammeroper scheint hier allerdings nicht richtig treffend. MacMillans Partitur hält reichlich Dramatik, kompositorische Dichte, bis hin zu einem großen Duett bereit. Folglich greift Horstmann ästhetisch auf Symbole der großen Oper anstatt auf kühle Science-Fiction-Kulissen zurück: Kostümbildnerin Nina Reichmann hat Mutter und Tochter in seidige Kleider mit Schleppe gehüllt. Das Bühnenbild von Stefan Wiel zeigt drei symbolhafte „Fenster“ nebeneinander: einen goldenen Bilderrahmen, einen Spiegel und eine Chaosszenerie mit zerschlagenen Scheiben.
Da die Premiere des Stückes zugleich den Auftakt für eine Kooperation der Landesbühnen Sachsen mit dem Radebeuler Gymnasium Luisenstift bildet, findet sie im Atrium der Schule statt. Die Schüler haben zusammen mit Lehrern und Theaterpädagogen drei kurze Vorspiele für die Oper erarbeitet. In einem knapp 45-minütigen Rundgang stimmen die elften Klassen das Publikum dabei ironisch, humorvoll und dennoch tiefsinnig auf die Problematik ein. Sie umkreisen sie das Thema zunächst literarisch: Goethes Homunkulus aus „Faust“, die Delta-Menschen aus Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“, Analogien gibt es viele. Im nächsten Raum geht es biologischer zu: Die Möglichkeiten künftiger Kindszeugung – vom Klonen bis zum Designerbaby – werden dem Publikum wie in einer Werbeshow verkauft, bevor die dritte Station Denkanstöße zu möglichen Folgen für die Klonkinder serviert.
Diese lockere Einstimmung gelingt prima. Sie betont die Schwächen des eigentlichen Stückes, das anschließend erklingt, rückblickend allerdings nur umso mehr. Denn MacMillans Oper ist ein durch und durch verkopftes Werk. So atmosphärisch prickelnd sie hier auf die Bühne gebracht wird, die Sprache bleibt auch in der deutschen Übersetzung sperrig und abstrakt. Die Inszenierung schenkt ein paar nachdenkliche Momente, doch richtig philosophisch wird es nicht. Die größte Schwäche liegt wohl im Libretto selbst. Dennoch kann sich Horstmann auf ein überzeugendes Dreiergespann auf der Bühne verlassen. Die junge Laienschauspielerin Maria Geringer übernimmt die Sprechrolle der Klontochter Anna, die sie als verletztes, verzweifeltes Nervenbündel zeigt. Alle Versuche, sich von der Mutter abzugrenzen, schlagen fehl. Die Zwillingsbande zu ihrem Schwestern-Mutter-Spiegel-Bild lassen sich nicht zerreißen und die Vorstellung von ihrer eigenen Entstehung verletzt so sehr, dass sie in einem wahnsinnigen Schmerzensschrei gipfelt.
Das nervöse Aufbäumen der Anna, ihr Inneres sind in der Musik besonders am Beginn hörbar. Doch dann driftet das Stück mit einem Mal ins Metaphysische ab, als die nur schwer definierbare Figur des Engels Bruno erscheint. Kazuhisa Kurumada lässt seinen kräftigen Bariton zuerst von der Empore ertönen. Der gefallene Engel erinnert hier jedoch eher an einen Geist mit schwarz geränderten Augen und einem dreckigen Mantel. Er könnte Annas göttlicher Klonvater oder verantwortungsloser Wissenschaftler sein, kann aber auch genauso gut als Liebhaber von Annas Mutter Kristel gedeutet werden. In jedem Fall erscheint die Konstellation der drei Figuren wie ein Reigen aus Konflikten. Gipfelt die erste Begegnung von Kristel und Bruno in herben Dissonanzen und dem lauten Schrei der Tochter, so scheint die Mutter bald vom blutigen Engel ohne Flügel in den Bann gezogen. Miriam Sabba lässt ihren Sopran dabei kräftig und zerbrechlich zugleich auflodern.
Die Mutter altert und die Musik macht die Beklemmung des Themas in Varianten hörbar, bäumt sich immer wieder fast bis zum Unerträglichen auf, während Anna, Kristel und Bruno um sich selbst und ihre Spiegel kreisen. Hans-Peter Preu gelingt es mit der Elbland Philharmonie Sachsen hier ganz wunderbar, die dramatischen Spitzen des Stückes herauszuarbeiten, jedoch auch in den ruhigeren Passagen Spannung und Verzweiflung nie ganz verhallen zu lassen. Doch für das Klonkonzept ohne Vater, für Anna, die sich selbst mehr als Spiegelbild ihrer Mutter denn als Individuum begreift, kann es keine Lösung geben. Und der merkwürdige Engel Bruno ist schließlich nicht umsonst flügellos.