Rossini-Festival: waghalsiges Spiel auf der Hängebrücke

Vergnügt in luftigen Höhen

Manuel del Pópulo García: L'isola disabitata

Theater:Rossini Festival in Wildbad, Premiere:11.09.2020Regie:Jochen SchönleberMusikalische Leitung:Andrés Jesús Gallucci

Die „Wildlinie“ auf dem Bad Wildbader Sommerberg bietet ein unwirkliches, geheimnisvoll-märchenhaftes Ambiente für die Opernaufführung beim diesjährigen Rossini-Festival, das wegen Corona in einer Mini-Ausgabe stattfindet. Spielort ist der Eingangsbogen der an mächtigen Schwarzwaldtannen waghalsig entlang streifenden Hängebrücke. Das Publikum sitzt verteilt am Nordeingang des touristischen Bauwerks. Lichteffekte begleiten und verzaubern die abendliche Walddämmerung. Bei Nachteinbruch leuchten die wuchtigen Baumstämme unter den dunklen Wipfeln farbintensiv, mal in Rot oder Blau. Manuel del Pópulo Vicente Garcías Opern-Einakter „L‘isola disabitata“, der hier unter schwierigen technischen Bedingungen als Freiluftaufführung gegeben wird, ist von der „einsamen Insel“ in luftige Höhen versetzt, wo es nächtens spuken und ebenfalls einsam sein kann.

García war ein weltgewandter Musiker, der den zu seiner Zeit blühenden Belcanto-Ziergesang wie kein anderer beherrschte – als gefeierter Rossini-Tenor, als erfolgreicher Gesangspädagoge (der auch seine berühmte Tochter, die Mezzosopranistin Maria Malibran, ausbildete), und nicht zuletzt als Komponist gefälliger kleiner Salon-Opern. Jochen Schönleber, der Intendant des Belcanto-Festivals Rossini in Wildbad, hatte von dem Rossini-Zeitgenossen bereits 2017 „Le cinesi“ und 2019 „I tre gobbi“ (Die drei Buckligen) ausgegraben und damit im hübsch renovierten Wildbader Kurtheater viel Zuspruch erfahren.

Nun also „L’isola disabitata“ in kleiner Besetzung, von Spezialist Schönleber einfallsreich bunt ausstaffiert, mit frischem Schwung inszeniert und vom (elektronisch verstärkten) Klavier aus von Andrés Jesús Gallucci musikalisch geleitet. Pietro Metastasios Libretto, das sich in naiv-kapriziöser Weise Daniel Defoes Robinson-Motiv anverwandelt, ist rasch erzählt. Auf besagter Insel sind Costanza und ihre kleine Schwester Silvia schiffbrüchig ausgesetzt – Costanza im Glauben, ihr Gemahl Gernando, der in Wirklichkeit von barbarischen Piraten entführt wurde, habe sie verräterisch verlassen. Die kindliche Silvia, die noch nie einen Mann gesehen hat, ist (deshalb?) glücklich und spielt mit Tieren. Costanza ergeht sich dagegen verzweifelt in Todesgedanken. Da landen nach Jahren zwei Männer auf dem Eiland – der zurückkehrende Gernando und sein Freund Enrico, die bald die beiden Frauen in der Waldwildnis finden. Aufklärung, gegenseitiges Verzeihen und neue Liebe brechen sich Bahn, nicht nur zwischen den Eheleuten.

Frisch zelebrieren vier jugendliche Solisten, motiviert von der García-Komposition, den harmlosen Plot und sind, nach Ablegung der Anfangs-Nervosität, musikdarstellerisch unterhaltsam unterwegs. Ihre liebenswerte Verspieltheit und ihr sangliches Engagement atmen den Geist unbekümmerter Musikstudenten und zeigen zugleich den Ehrgeiz, Grundsteine für eine künftige Theaterkarriere zu legen. Das bereitet beim Zuschauen und Zuhören viel Freude. Ouvertüren-Klaviergewirbel und Sprecherin Julia Seele, die eine „entzückende Liebesgeschichte mit Happyend“ ankündigt, eröffnen die anderthalbstündige Kurzweil. Dann wechseln sich Arien, Rezitative und Duette bis zum strahlenden Stretta-Quartett-Finale in munterer Folge ab.

Die aus Norwegen stammende Sopranistin Susanna Wolff bewältigt als Costanza mit Bravour die umfänglichste Rolle. Sie vermittelt eingangs ihre Traurigkeit mit feinem lyrischen Ausdruck, fällt, als Gernando auftaucht, in erbarmungswürdige Ohnmacht und krönt ihren Part arios mit zärtlichen Koloraturen und glockenhellen Spitzentönen. Die Italienerin Francesca Di Sauro hat als Silvia beim Singen naturgemäß keinerlei Probleme mit ihrer Muttersprache. Ihr Mezzo wirkt freilich anfangs noch etwas stumpf, entfaltet sich aber in den Duett-Passagen mit Costanza eindrucksvoll und hat im „süßen Taumel“ ihrer Arie „Fra un dolce deliro“ wunderschöne Momente. Als Gernando ist der Schweizer Tenor Remy Burnens nicht nur der ersehnte und von Schicksalsqualen erlösende Gatte, sondern auch musikalisch der Star. Sein Gesang hat begeisterndes Belcanto-Flair und kann dramatisch erregen, während der italienische Bassist und Enrico-Darsteller Lorenzo Liberali den Ziergesang behäbig angeht.

Galluccis Klavierbegleitung sorgt für die musikalische Basis und zeichnet sich in den Überleitungen durch Feingefühl aus. Auch in der durch die Epidemie erzwungenen Bescheidenheit wird diese Inszenierung dem ausgezeichneten Ruf des Wildbader Festivals gerecht.