Foto: Szene aus "Vater" am Theater Ulm. © Martin Kaufhold
Text:Manfred Jahnke, am 20. April 2017
Wenn dunkle Wolken den Kopf vernebeln, die Erinnerungslöcher immer größer werden und man wieder zum nach Mama greinenden Kleinkind wird, dann ist die Diagnose schnell gemacht, Altersdemenz oder Alzheimer. In einer Reihe von Stücken werden die Stufen vorgeführt, die diese Erkrankung durchläuft und dabei auch die Hilflosigkeit vorgeführt, die Familienangehörige mit der Pflege haben. Der französische Erfolgsautor Florian Zeller geht in „Vater“ einen ganz eigenen Weg, in dem er versucht, szenisch die Stufen dieser Erkrankung aus der Perspektive des „Vaters“ zu entwickeln. In seiner Dramaturgie versucht er die Zeitsprünge im Denken eines Dementen festzuhalten.
So zeigt das Bühnenbild von Mona Hapke am Theater Ulm eine ständig vorwärts und rückwärts laufende Uhr, die am Ende verschwindet, ebenso wie das Bild von Don Quijote, der ewig gegen die Windmühlenflügel zu kämpfen versucht. Ein vergeblicher Kampf. Aber mehr noch verschieben sich die Perspektiven, wenn die Familienangehörigen zu Fremden werden: Zeller verdoppelt diese Figuren und die Fremden treten als Fremde auf. Im nächsten Augenblick aber werden diese wieder zu Tochter und ihrem Freund. Deutlicher kann man nicht ins Bild setzen, wie lichte und dunkle Momente in der Krankheit sich abwechseln. Darüber hinaus bleibt diese Tragikomödie, so der Genrebegriff, in einer unsicheren Brüchigkeit. Wenn die Perspektive des Vaters vorherrschend bleibt, so bleibt doch auch die Situation der Tochter Anne nicht ausgeblendet: Sie muss schließlich entscheiden, dass der Vater seine Wohnung verlassen muss, dass sie ihn mit ihrem Freund in ihre eigene aufnimmt und dass sie ihn schließlich in ein Pflegeheim geben muss.
Zeller schreibt dabei vor, dass das Zimmer immer leerer werden muss, bis am Ende nur ein Krankenbett übrig bleibt. Mit diesem Bild führt der Autor nicht nur den Erinnerungsverlust vor, sondern auch die zunehmende Kälte der Einsamkeit. Mona Hapke geht dabei noch einen Schritt weiter, sie lässt die Wände sich ständig verschieben, was manchmal etwas Bedrohliches hat, andererseits die ständige äußere Bewegung um den „Vater“ zeigt. Florian Zeller ist darüber hinaus ein Autor, der den Schauspielern große Rollen mit tragischen und komischen Momenten schreibt. Grandios, wie Karl Heinz Glaser die Rolle des Vaters vorführt, im schnellen Wechsel zwischen trotzigem Auftrumpfen und depressiven Phasen. Wie er am Anfang auf seine Autonomie beharrt und dann immer mehr seine Kontrolle verliert und am Ende nach der Mama greint, das geht emotional tief. Kurz: Glaser schafft es, durch die Oberfläche des Textes hindurch in eine Tiefe zu gehen, die zum Ende das Publikum in atemlose, spannende Stille hält.
Die Regie von Karin Drechsel mit ihrer präzisen Schauspielerführung setzt auch bei Aglaja Stadelmann als Tochter Anne ganz neue Seiten frei. Sie führt das Bild einer jungen Frau vor, die zwischen der Liebe zum Vater und dem Recht auf ein eigenes Leben steht und darum einen verzweifelten Kampf führt, auch das geht berührend in die Tiefe, weil Liebe und Respekt immer als Antriebskraft erhalten bleiben. Timo Ben Schöfer spielt ihren Freund Pierre blass, ergänzt wird das Ensemble von Julia Baukus, Margarete Lamprecht und Gunther Nickles.