Foto: "La dame blanche" am Oldenburgischen Staatstheater. Valda Wilson (Anna), Nicola Amodio (George Brown)
© Karen Stuke
Text:Jens Fischer, am 18. Mai 2015
Unwahrscheinlich, unglaublich, unmöglich sei mal wieder die darzustellende Handlung, heißt es auf der Opernbühne. Und nun? Zur Publikumsbespaßung spottend darüber herfallen? Augen zu und durchstarten zu einem musikalisch schönen Abend? Oder mit klugen szenischen Setzungen aus dem kruden Stoff eine ganz eigene Geschichte entwickeln? An Inhalten nicht so, an juxigen Vergnügungen durchaus interessiert, geht das Staatstheater Oldenburg einen eigenen Weg mit François-Adrien Boieldieus „La Dame Blanche“, uraufgeführt 1825. In der Spielzeit 1927/28 sei dieser ehemalige Welterfolg der restaurativen, leichten französischen Nachrevolutionsmuse letztmalig in Oldenburg und seither auch kaum noch anderswo aufgeführt worden, hat Generalintendant Christian Firmbach recherchiert – und Nadja Loschky zur Wiederentdeckung geladen.
Sie schrieb der spukigen „Opéra comique“ Dialoge hinzu, fabulierte Mord, noch mehr Betrug, Ehebrüche hinein und erfand eine Rahmenhandlung: Zwei Moderatoren, die wie Rohentwürfe zu einem „Tatort“-Kommissar-Duo wirken, frieren gleich im ersten Akt immer wieder das als Rückblende ablaufende Bühnengeschehen ein, um kurz mal länglich zusammenzufassen, vorauszuweisen – oder mit Vermutungen, Erläuterungen, Interpretationen, Kommentaren aufzuwarten. Ziemlich vergebliche Liebsmüh’. Denn in der Vielschreiberwerkstatt Eugène Scribes entstand kein tief lotendes Themennetzwerk, sondern ein flach mit Klischees spielender Spaß – die beim schauerromantisch bestsellernden Walter Scott geborgt wurden: Schlossgespenst, Schatzsuche, geheime Briefe, Schottland-Mystik, echte Schurken, fesche Helden und die liebespochende Paarbildung eines reichen, zwischenzeitlich gedächtnislosen Grafen mit einer armen, stets pfiffig an ihrem Ehe-Happy-End werkelnden Waisenmädchen (Valda Wilsons warm temperierter, dramatisch aufblühender Sopran war stimmlich der Höhepunkt der Premiere). All diese Versatzstücke kommen durch die ständigen Unterbrechungen erst recht nicht zusammen – und das Orchester nicht in seinen Musizierfluss.
Für die Akte 2 und 3 ließ Daniela Kerck ohne Wenn und Aber eine Illusionsbühne bauen: Der Festsaal des Schlosses ist in nebulöses Grusellicht getaucht und mit wehenden Gardinen der Angst garniert. Die Detektive verlegen nun ihre Ermittlungen direkt dort hinein, ohne dass diese Verquickung der Realitätsebenen die Aufführung künstlerisch in Fahrt brächte. Die Verhöre führt die Regisseurin, wie bei Hercule Poirot gelernt, zu einer finalen Versammlung der Hauptverdächtigen zusammen, um schließlich die Rätsel minutiös zu entzaubern. Was alles so nicht im Libretto steht. Muss es auch nicht. Aber es sollte schon reizvoll überraschend und dramatisch konsequent oder krimiironisch amüsant sein. Es ist aber genauso witzlos, unpointiert, langweilig klischeehaft wie es die Dialoge der beiden Ermittler sind. Es geht halt – um nichts.
Wobei: Von einer inhaltlichen Idee ist doch zu berichten. Loschky verlegt die Handlung aus dem vorvorletzten Jahrhundert zum Ende des 1. Weltkriegs. Seither werden Opernstoffe, in denen wie hier das Militär verehrt und ein „Offizier des Königs“ als Popstar umschwärmt wird, kaum noch ungebrochen gespielt. Aber wenn nun der schmucke Krieger (Nicola Amodio mit hochgetuntem, aber leider blassem Tenor) mit schmutzigem Unterhemd als Friedensfahne auftritt und Loschky in ihrer Textfassung behauptet, er wäre in den Schützengräben des ersten industriell durchgeführten Krieges geistig zerrüttet worden, dann aber zur Illustration nur den Chor im Partygästegewand mit Gasmasken um ihn herumkrabbeln lässt, dann funktioniert das nicht als ernsthafte Auseinandersetzung: wirkt eher zynisch statt kritisch.
Und die Musik? Nun, ja. Mehr als eindimensional sind die Figuren auch in der Partitur nicht zu erleben. Aber einfallsreich und effektvoll kommt sie daher, mit aparter Instrumentierung, rhythmisch perlender Raffinesse und melodischer Eleganz. Liebliche Duette hat Boieldieu komponiert, kraftvolle Chorsätze, Arien für Belcantofreunde – und im Schatten Mozarts reichlich Rossini-Déjà-vus. Lässt sich gut weghören. Auch wenn das Staatsorchester unter Vito Cristofaro mit gedehnten Tempi und schlankem, gedämpftem Klangbild den Esprit unterschlägt. Das Premierenpublikum zeigte sich ziemlich begeistert von diesem verquatschten Opern-Biedermeier.