Foto: Cio-Cio-Sans Hochzeit, Eleonora Buratto als „Madama Butterfly“ © Monika Rittershaus
Text:Georg Rudiger, am 13. April 2025
Der Eröffnungsabend der Osterfestspiele Baden-Baden ist mit Puccinis „Madama Butterfly“ theatralisch und musikalisch meisterhaft. Davide Livermores Inszenierung ist klug und hat Platz für große Emotionen.
Ein ganz schnell gespieltes, raues Streichertremolo verkündet im 3. Akt Gefahr, ein dumpfes Pizzicato in den Kontrabässen Schrecken. Die Generalpause danach, wenn die Protagonistin erfährt, dass ihr der Vater, US-Leutnant Pinkerton, mit seiner neuen Frau Kate das Kind wegnehmen möchte – eine gefühlte Ewigkeit. Kirill Petrenko hält hier im Pianissimo die Spannung so hoch, dass sie gerade wegen dieser Zurückhaltung zu Zerbersten droht. Die Berliner Philharmoniker spielen im Festspielhaus Baden-Baden zur Eröffnung der Osterfestspiele zum ersten Mal überhaupt „Madama Butterfly“: plastisch, sinnlich, mit einer Fülle von Klangfarben und dynamischen Nuancen. Eine Offenbarung, eine „Madama Butterfly“ deluxe, eine musiktheatralische Durchdringung von höchster Intensität. Mit dieser Meisterleistung verabschiedet sich das Spitzenorchester nach 12 Jahren Osterfestspielen Baden-Baden in Richtung Salzburg, wo sie sich ab 2026 den „Ring des Nibelungen“ vornehmen.
Kammermusikalische Puccini Oper
Der nach mehreren Konzertabsagen wieder genesene Kirill Petrenko legt Puccinis Oper ganz kammermusikalisch an. Die wenigen dynamischen Spitzen hebt er sich für ausgewählte Höhepunkte auf wie das tragische Ende, als das Orchester für einige Takte seine Muskeln spielen lässt. Oder er schärft die Effekte der Partitur wie im gestopften Blech beim Auftritt des Butterfly verstoßenden Onkel Bonze (Giorgi Chelidze) oder des schmierigen Heiratsvermittlers Goro (Didier Pieri), wenn sich Butterfly im zweiten Akt gegen seinen Spott zur Wehr setzt.
Sonst herrscht ein perfekt gemischter Wohlklang im Orchestergraben, der gerade bei den Streichern immer einen Einschwingvorgang hat und auch im Verklingen rund bleibt. Alles fließt. Selbst heikle Bläsereinsätze kommen wie aus einem Guss. Da klappert nichts, da franst nichts aus. Auch die Streicher tragen das exquisite Solistenensemble auf Händen, übernehmen jedes Rubato in ihre Unisono-Linie – perfekt zusammengeführt von Chefdirigent Petrenko, der mit großem Körpereinsatz und tänzerischen Bewegungen alles nicht zur zusammenhält, sondern immer wieder Freiheit ermöglicht und den Augenblick gestalten lässt. Ein Ereignis!
Debütabend
Auch für Davide Livermore ist der Abend wie für das Orchester ein Debüt – der italienische Regisseur hat zuvor noch nie in Deutschland inszeniert. Die Musikalität des früheren Sängers ist seiner Inszenierung anzumerken. Der erste Kuss Pinkertons wird klug mit dem Dolchmotiv aus dem Orchestergraben verbunden. Livermore bürstet nichts gegen den Strich, sondern er schafft opulente Räume für Emotionen. Dafür hat er mit dem Mailänder Design-Studio Giò Forma zusammengearbeitet, das auch schon große Shows von Parfümherstellern und Rockstars inszenierte.
Livermore arbeitet mit Videos, die fast unablässig auf den großen LED-Wänden entstehen und mit viel digitalen Effekten und Überblendungen wieder vergehen (Video: D-Wok/Paulo Gep Cucco): die rote Sonne Japans, eine zerfledderte Amerikafahne, im Nebel liegende Berglandschaften und Großstadtarchitektur. Auch ein in verschiedenen Farben leuchtender Schmetterling flattert digital in Zeitlupe als Leitsymbol für die Protagonistin. Das ist handwerklich perfekt umgesetzt, aber auch gerade vor der Pause redundant und in der Fülle auch ein wenig erschlagend, da häufig der musikalische Ausdruck szenisch einfach verdoppelt wird. Zumindest für Operneinsteiger ist das auch szenisch ein beeindruckender Abend. Die traditionellen Kimono-Kostüme von Mariana Fracasso (stark: Tschechischer Philharmonischer Chor Brünn/ Petr Fiala): ein Augenschmaus.
Bewegende Interpretation
Die holprig beginnende Rahmengeschichte erzählt von Butterflys inzwischen erwachsenem Sohn Dolore (Schmerz), der nach Japan gekommen ist, um seine Wurzeln zu suchen. Er (Felix Chang) trifft auf Suzuki als alte Frau (die Buthotänzerin Ayaka Kamei) und hat Kinderzeichnungen dabei, die er ein bisschen zu lange am Rand der Bühne betrachtet und die auf die Leinwände projiziert werden. Mehr und mehr werden die Figuren aber Teil des Geschehens, beobachten und spenden Trost. Dass dieser Opernabend zu Herzen geht, liegt aber vor allem an Eleonora Buratto in der Titelpartie, die, als sie nach ihrer tief bewegenden Interpretation auf die Bühne komme, sofort stehende Ovationen erhält. Mit ihrem dunkel schimmernden, weittragenden Sopran kann sie jede Gefühlsregung dieser tapferen Frau musikalisch umsetzen – von Euphorie bis Depression, von Wut bis Stolz. Perfekt begleitet von den Berliner Philharmonikern, muss sie nie forcieren, um ihre betörenden Legatolinien schweben zu lassen.
Jonathan Tetelman ist ein viriler Pinkerton, der die Spitzentöne strahlen lässt und auch sonst mit seinem Tenorschmelz verführen kann. Auch Leichtigkeit und Unbeschwertheit hat seine Stimme, der es an dem Abend nur ein wenig an existentieller Intensität fehlt. Teresa Iervolino (Dienerin Suzuki) mit viel Empathie und wunderbarer Tiefe und der kantabel singende Tassis Christoyannis als mitfühlender Konsul Sharpless komplettieren das ausgewählte Personal.
Neben vielen ästhetischen Bildern schafft Davide Livermore aber auch beklemmende Szenen, wenn die auch schauspielerisch enorm präsente Eleonara Buratto ihrer Hochzeitsnacht mit Angst entgegensieht und den eigentlichen Liebesakt durch ein maskiertes Double vollziehen lässt. Ihr rotes Tuch erzählt vom Verlust der Jungfräulichkeit. Am Ende zieht sich diese zutiefst verletzte Butterfly in ihre eigene Welt zurück. Ihr gleißend helles Heim wird unter den bedrohlichen Paukenschlägen zum Grab. Den ehrenhaften Suizid vollzieht sie mit dem Rücken zum Publikum. Eine verschmutzte Stars-and-Stripes-Flagge, die von der Decke fällt, bedeckt die Leiche. Das Orchester schreit auf. Der Vorhang fällt.