Foto: Ensemble der Württembergischen Landesbühne in "Macbeth" in Esslingen © Patrick Pfeiffer
Text:Manfred Jahnke, am 25. März 2023
Wenn ein Gutmensch zum Bösewicht mutiert, hat das meist mit der Ausübung von Macht zu tun. In seiner Inszenierung an der Württembergischen Landesbühne Esslingen erzählt Hans-Ulrich Becker die alte schottische Geschichte von „Macbeth“ nach, wie da einer den Einflüsterungen der Macht unterliegt. Macbeth weiß, wenn er den König Duncan mordet, muss er immer weiter töten. Die Lady hingegen glaubt, es ist mit dem ersten Mord alles getan. Die Regie hält sich eng an Shakespeare, zieht aber eine zweite Ebene in ihre Erzählung ein: das Theater selbst. Schon das von Katja Lebelt geschaffene szenische Ambiente bildet die Atmosphäre eines Probenraums ab. Ein Getränkeschrank, dahinter eine Duschkabine und in den Raum hineinragend ein Gestell mit griffbereiten Requisiten wie Megafonen dominieren auf der linken Seite der Bühne. Ein weißer Plastikvorhang beherrscht die Mitte, während an der rechten Seite ein Berg von Stühlen aufgehäuft ist, vor dem eine Tiefkühltruhe steht. Im Halbrund stehen weitere Stühle, auf denen die Darsteller:innen sitzen, wenn sie nicht spielen. Und da kann man auch schon einmal mit dem Smartphone spielen.
Unterstrichen wird diese Atmosphäre auch durch die Kostüme von Elisabeth Ranner: Da trägt die Lady Macbeth der Eva Dorlaß das kleine Schwarze oder Rosse (Daniel Großkämper) tritt als moderner Bürokrat mit abgetragener brauner Aktentasche auf. Der König – zunächst Duncan (von Martin Theuer grandios ausgespielt), dann Macbeth – trägt eine Krone aus Patronenhülsen. Die Kämpfer treten entweder nackt auf, mit rotem Kunstblut überschüttet, wie gleich zu Beginn der „bloody man“ von Antonio Lallo. Oder sie tragen über die nackten Oberkörper wattierte Westen. Die Hexen hingegen ziehen sich Strumpfmasken über das Gesicht und tragen schlaffe Luftballons als Brüste oder als Penisse. Viel künstliches Blut (zum Teil bespritzt sich das Ensemble aus Plastikflaschen) und Nebel beherrschen die Szene.
Identifizierungspotenzial
Das Bankett, bei dem später der Geist des gerade getöteten Banquo erscheint, wird mit der einschmeichelnden Musik von Viola Kramer zur Party und reiht sich ein in die Mittel, die die schottische Geschichte in das Heute holen: Aufgezeigt wird die Radikalität eines Kleinbürgertums, das sich in den Männlichkeitsritualen seiner selbst zu versichern versucht. Felix Jeiter spielt Macbeth als Getriebenen. Bei allem, was er tut, bleibt er seltsam unbeteiligt, reflexive Phasen werden eher beiseite gesprochen. Nur wenn er die Krone trägt, rafft er sich zu starken männlichen Gesten auf. Auch der Banquo von Markus Michalik oder der MacDuff von Antonio Lallo üben sich in solchen Gesten, zugleich aber haben sie starke emotionale Momente, die ein kurzes Anhalten des Spiels markieren. Das eingespielte Ensemble wird durch einen strahlenden Reyniel Ostermann als Malcolm, dem Sohn von König Duncan, Kristine Göpfert unter anderem als herbe Lady Macduff und Feline Zimmermann vervollständigt.
„Macbeth“ auf eine Studie gegenwärtiger toxischer Männlichkeit herabzubrechen, erscheint gewagt. Aber Becker lenkt damit die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich selbst: Wieviel Macbeth ist in mir selbst? So wird diese Inszenierung zu einem Lehrstück über die Verführbarkeit der Macht und jeder Einzelne im Publikum ist aufgerufen, das eigene Verhalten zu überprüfen.