Foto: Szene aus Young Soon Hues "Contrast" © Henning Rosenbusch
Text:Bettina Weber, am 1. März 2015
Wenn ein Mann Blumen verteilt, ist offenbar Misstrauen geboten. Jedenfalls ist es so in Demis Volpis Ballett „Hypnotic Poison“ (Uraufführung 2012 am Theater Augsburg). Es ist der erste von insgesamt drei Teilen der Coburger gleichnamigen Premiere. Er zeigt darin Verführungssituationen, denen allen die bedrohliche Atmosphäre des Verbotenen, eine Spur der Gefahr gemein ist. Fünf Tänzerinnen bewegen sich zunächst mit dem Rücken zum Publikum, spielen dabei mit langem offenen Haar, dazu ertönt ein schrilles, Misstrauen erweckendes Gelächter. Dann lässt sich ein Mädchen, „die Verführte“ (Eun Kyung Chung) von den Blumen anlocken, die ein Verführer (Po-Sheng Yeh) verteilt hat. Zu spät erkennt sie seine wahren Absichten, sie kann sich seiner Gewalt und der weiterer Männer, die hinzukommen, nicht mehr erwehren: Sie reißen ihr die Blüten vom Kleid, wirbeln sie herum, erniedrigen sie. Dann wieder stehen die weiblichen Reize im Vordergrund: eine nackte nixenhafte Frau (Chih-Lin Chan) in einem Wasserbassin, eingelassen in den vorderen Teil der Bühne, ein Fischer (Federico Frido), der nicht widerstehen kann und zögernd zu ihr ins Wasser steigt: Es ist das Finale der ersten Arbeit des Abends, in der Stuttgarter Hauschoreograph Demis Volpi mit wenigen, symbolkräftigen Ideen Spannung erzeugt, ein dramatisches Potenzial entwickelt. Teils überspannt er allerdings auch das erotische Potenzial, vor allem in der Schluss-Szene: Mehrfach steckt der Fischer seinen Kopf ins Wasser, schleudert dramatisch seinen nassen Kopf zurück – als hätte die große Begierde nicht jeder längst wahrgenommen.
Dass nun die Arbeit „Bewitched, Bothered & Bewildered“ des Coburger Ballettdirektors Mark McClain folgt (die er bereits 2000 in Leipzig uraufgeführt hat), ist eine thematisch passende Ergänzung zum ersten Teil des Abends: Sechs Tänzerinnen erzählen in aufeinanderfolgenden Soli getanzte Liebesgeschichten. Stets schauen die übrigen Tänzerinnen der jeweiligen Protagonistin zu, dann und wann wird (in traurigen Momenten) auch mal eine von ihnen getröstet. Da ist ein Samtvorhang als Rückwand, jede Tänzerin steckt in einem anderen schwarzen Abendkleid, und die Musikauswahl reicht von Aretha Franklin bis Billie Holiday. In dieser Mischung entsteht ein bisschen Varieté, ein fast musicalartiges Storytelling, und natürlich gibt es mit Pirouetten auf Spitze und diversen Sprüngen viel klassisches Bewegungsrepertoire des Balletts zu sehen. Die einzelnen Tanzszenen sind anziehend, schön anzuschauen – im Vergleich zu den beiden anderen Choreographien fehlt es aber dieser Kreation ein wenig an Tiefe, so unterhaltsam sie auch ist.
Auf die dramatisch-impulsive Kreation des Nachwuchschoreographen Demis Volpi und eine solide Arbeit von Mark McClain folgt dann als unbestrittenes Highlight des Abends Young Soon Hues „Contrast“. Die international arbeitende, aus Korea stammende Choreographin hat es im Mai letzten Jahres am US-amerikanischen Tulsa-Ballett (Oklahoma) uraufgeführt, und es ist wahrlich als Glück zu bezeichnen, dass nun in Coburg die Deutschland-Premiere der Choreographie gefeiert wurde. Inspiriert durch zahlreiche Flughafenaufenthalte überall auf der Welt, entführt Young Soon Hue in ihrer Kreation das Publikum in eine Wartehalle mit Stewardessen, Geschäftsleuten, gestresst eilenden oder im Sitzen einschlafenden, sich verabschiedenden oder wieder aufeinandertreffenden Fluggästen. Das Ensemble trägt in der ersten Hälfte noch die passenden Kostüme, Stühle werden wie Gepäck im geschäftigen Treiben hin und hergezogen. Im zweiten Teil dann blickt die Choreographie, kontrastreich wie es der Titel verspricht, hinter die Fassaden der Menschen, hinter das oberflächlich Fassbare. Die naturalistischen Kleider sind verschwunden, die Tänzer und Tänzerinnen tragen nur noch hautfarbene, knappe Stoffe, sodass auch am Kostüm (ebenfalls Youn-Soon Hue) deutlich wird: Es geht um innere Vorgänge, Gefühle, und der Mensch tritt hinter der Fassade hervor. Anstatt aneinander vorbeizulaufen, tanzt das Ensemble nun zärtlich und dynamisch miteinander, manches Pas de deux wirkt fast verträumt. Und es erklären sich Vorgänge, über die man der ersten Hälfte rätselt: Die Konkurrenz zweier Stewardessen beispielweise, die offenbar denselben Mann lieben. Während im ersten Teil noch die minimalistische Musik von John Adams („The Chairman Dances“ aus der Oper „Nixon in China“) einen schnellen, fast jagenden Puls vorgibt, wird mit Alva Notos und Ryuichi Sakamotos „Uoon1“ nun auch die Musik deutlich atmosphärischer und ruhiger. „Contrast“ hebt sich nicht nur inhaltlich von den beiden anderen Kreationen ab, das Stück ist auch qualitativ auf einer anderen Ebene anzusiedeln: Es begeistert durch ein sehr vielfältiges, intellektuelles Bewegungsrepertoire und ein stimmiges Bühnen- und Lichtkonzept. Viel Anerkennung verdient auch die Arbeit des Ensembles – scheinbar mühelos gelingt es den Tänzern und Tänzerinnen, sich auf alle drei choreographischen Handschriften einlassen. Young Soon Hues Arbeit lohnt eine Fahrt nach Coburg – umso bedauerlicher daher, dass das Parkett am Premierenabend nur etwa zur Hälfte gefüllt war. Die Anwesenden feierten im Applaus alle drei Kreationen, wobei die Arbeit Young Soon Hues mit Abstand die stürmischste Begeisterung hervorrief.