Foto: Ralf Lukas und Khatuna Mikaberidze in "Herzog Blaubarts Burg" in Wuppertal © Björn Hickmann
Text:Regine Müller, am 9. Mai 2022
Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“ liegt derzeit im Spielplan-Trend: An der Rheinoper war das nur knapp einstündige Werk ohne Zweitstück im vergangenen Herbst zu sehen. Auch die Essener Aalto-Oper zeigt die Oper für sich stehend, während in Hagen Intendant Francis Hüsers Bartóks symbolistische Rätseloper mit seiner späteren Ballettpantomime „Der wunderbare Mandarin“ zu einem Doppelabend verquickt hat. Und im Sommer wird bei den Salzburger Festspielen Romeo Castellucci wiederum einen Doppelabend inszenieren, der den „Blaubart“ mit Carl Orffs „De temporum fine comoedia“ zusammensperrt. Die aktuelle Hochkonjunktur von Bartóks Oper ist erstaunlich, zumal das Sujet – ein Frauenmörder verbietet seiner von Neugier getriebenen jüngsten Gemahlin, die Türen seiner Burg öffnen, hinter denen er ihre getöteten Vorgängerinnen versteckt hat – nicht gerade ein fortschrittliches Geschlechterverhältnis transportiert.
In Wuppertal wagt man nun sowohl eine verblüffende Kombination von Bartóks Opern-Ungetüm mit Richard Strauss‘ Vorspiel zu „Ariadne auf Naxos“, als auch eine radikale Umdeutung der düsteren „Blaubart“-Geschichte. Am Anfang der Wuppertaler Dramaturgie stand die Idee, das quirlig-komödiantische „Ariadne“-Vorspiel (erstmals in der Aufführungsgeschichte des Werks!) ohne den darauffolgenden Opernakt zu inszenieren und mit einem möglichst gegensätzlichen Werk zu kombinieren. Tatsächlich haben beide Werke lediglich ihre Entstehungszeit Anfang der 1910er-Jahre gemein. Zudem werden in Wuppertal zwei Regisseure beschäftigt: für das Strauss-Vorspiel der auch in der leichten Muse erfahrene Bernd Mottl und für Bartók der russische Regisseur Philipp Grigorian. Größtmögliche Gegensätze sind also Programm.
Friedrich Eggert hat für das „Ariadne“-Vorspiel eine trashig mit Flitter-Großbuchstaben und Blechbüchsen-Türmen vollgerümpelte Bühne gebaut, auch seine Kostüme könnten aus dem Fundus einer abgewirtschafteten Zirkus-Truppe stammen. Bernd Mottl inszeniert das Spiel mit leichter Hand. Manches wirkt wie improvisiert, aber fein gezeichnet und ohne in die Klamotte abzurutschen. Hofmannsthals geschliffener Text steht dabei im Vordergrund und ist meistens hervorragend zu verstehen.
Patrick Hahn im Graben hat die Zügel der diffizilen Partitur fest im Griff und ermuntert das Sinfonieorchester Wuppertal zu luzidem, elastischem und eloquentem Spiel. Famose Bläser-Soli lassen erkennen, wie sicher die Musiker sich unter seiner Stabführung fühlen. Das Sängerensemble zeigt eine geschlossene Leistung, erneut – wie schon beim „Tannhäuser“ unter Hahns Leitung – ist hörbar, wie genau der junge GMD mit dem Ensemble geprobt hat. Alles klingt pointiert, mit Sinn und musikalischer Präzision erfüllt. Herausragen Catriona Morisons hell timbrierter Mezzo als Komponistin, Ralf Lukas‘ imposanter Musiklehrer, Anne Martha Schuitemakers gar nicht so alberne und höhenstarke Zerbinetta und Mark Bowman-Hesters herrlich maliziöser Tanzlehrer. Großer Jubel für großen Spaß
Mutige Neuinterpretation
Nach der Pause dann Bartóks finstere Gegenwelt. Regisseur Philipp Grigorian, der auch sein eigener Bühnenbildner ist, hat ein hyperrealistisches, muffig grüngraues Zimmer mit funzeligem Wohnzimmer-Lampen gebaut, das etwa auf die Mitte des 20. Jahrhunderts verweist. Die Grundkonstellation der Figuren deutet Grigorian konsequent um: Blaubart ist hier ein alter, unheilbar kranker Mann und Judith nicht seine neue Frau, sondern seine einzige Tochter. Ihre Begegnung erzählt er als typischen Generationenkonflikt des heutigen Russlands, als erbitterten Streit zwischen Eltern, die Reichtum und Geheimnisse angehäuft haben und ihren Kindern, die nach dem moralischen Preis des Komforts fragen.
Damit verschiebt Grigorian auf elegante Weise die Gewichte, ohne sie aufzuheben. Der zwanghaft erotische Unterton, der Judith (und ihren Vorgängerinnen) als Opfer zeichnet, wird so umgedeutet, die Geheimnisse, die sie ergründen will, kann Grigorian mit seinem Kniff sogar so stehen lassen, wie sie geschrieben stehen. Mit jeder Tür, die sich öffnet, werden Reichtümer, Besitz und Schönheiten offenbar, an denen Blut klebt. Zu den beiden singenden Protagonisten erfindet Grigorian noch drei überwiegend stumme Rollen hinzu, nämlich Blaubarts Frau, Judiths Mutter und Blaubarts Mutter – eine Art bedrückender Familienaufstellung, sparsam und eindrücklich inszeniert. Überhaupt lebt Grigorians Regie von Konzentration, Reduktion und hoher Binnenspannung.
Patrick Hahn führt den nun gewaltig großen Orchesterapparat im Graben mit höchster Umsicht, leicht könnten die Klangmassen das Bühnengeschehen erschlagen. Aber Hahn platziert die Entladungen überlegt. Unerhört farbig fächert er Bartóks Partitur auf, lässt es flirren und glitzern, drohend rumoren und ist auch hier wieder enorm präzise und klar. Er scheint sehr genau zu wissen, was er will. Ralf Lukas – eben noch Strauss‘ Musiklehrer – singt und spielt nun einen zerrissenen Blaubart und meistert die gefährlichen Klippen seiner Partie souverän. Khatuna Mikaberidzes Mezzosopran ist mit einem schillernden Timbre ausgestattet, dunkel grundiert, aber zugleich ausgerüstet mit Sopran-Metall ist ihre Judith enorm durchschlagskräftig und zupackend, ohne Schärfen zu zeigen. Großer Jubel auch für den zweiten Teil des insgesamt herausragenden Opernabends.