Foto: Lara Haucke (Biene) und Martin Theuer (Kurt) an der WLB Esslingen © Patrick Pfeiffer
Text:Manfred Jahnke, am 10. Oktober 2020
Ein nicht mehr junger Rocker, der seit 25 Jahren in Wirthaussälen, Altenheimen und Geflügelzuchthallen auftritt, und eine Sechzehnjährige, die gerade aus einem Mädchenheim abgehauen ist, begegnen sich. Sie sind einsam und spüren allmählich, was ihnen im Leben fehlt: Liebe. Das klingt klischeehaft und ist es auch. Obwohl Robert Seethaler für sein Drehbuch „Heartbreakin‘“ 2005 den Tankred-Dorst-Drehbuchpreis der Drehbuchwerkstatt München erhalten hat, kam kein Film zustande; deshalb arbeitete der Autor 2007 den Stoff in den Roman „Die Biene und der Kurt“ um. Nun, 13 Jahre später, gelangt der gleiche Stoff als „Heartbreakin‘ – Die Biene und der Kurt“ auf die Bühne – als „Roadmovie mit viel Musik“.
Da ertönen nun Songs von Ted Herold, Peter Kraus, Elvis und vielen anderen mehr neben Edelschnulzen und in immer neuen Ansätzen „Are you lonesome tonight…“ in Englisch und Deutsch. Wir folgen dem Protagonisten Kurt zu seinen Auftritten in einen Wirtshaussaal, in ein Gebäude, in dem Puten gezüchtet werden, in ein Altenheim, schließlich verzockt er in seinem Whiskysuff den großen Auftritt bei dem Superstar Teddy Tailor. Dazu rockt das spärliche Publikum auf der Bühne auf jeder Station dieser Reise. Höhepunkt ist der Tanz der Alten auf Rollstühlen im Altenheim. Leider aber gibt es viele Nebenhandlungen, die zwar die „Einsamkeit“ von Rocker Kurt und der sechzehnjährigen Biene in immer neuen Variationen aufzeigen, aber häufig sich verselbständigen und über ein Klischeestatus nicht hinausgelangen. Noch stringentere Kürzungen seitens der Dramaturgie (Marcus Grube) hätten der Aufführung gutgetan.
Die Regie von Christine Gnann, die statt auf Tempo auf das Ausmalen der Spielsituationen setzt, versucht die Ansätze im Text zu einem absurden bzw. grotesken Spiel voranzutreiben (Beispiel: Rollstuhlballett) oder aber die Show-Ebene als von Transvestiten beherrscht zu zeigen. Männer spielen hier ständig Frauenrollen (nur einmal darf eine Frau einen Bauern spielen), ohne dass ein Grund für diese Entscheidung einsichtig würde. Ebenso gelingt der Versuch nicht, den filmischen Grundcharakter des Drehbuchs aufzuheben, obschon Ausstatter Max Johns einen abstrakten Raum, nämlich eine bis auf die Brandmauern leere Bühne gestaltet hat, die nur wenig Versatzelemente braucht. Da zeigen aus dem Schnürboden herabgelassene Kulissenwände Stationen wie die weite Landstraße unter blauem Himmel. Allerdings gibt es kein richtiges Äquivalent für das Wohnmobil, das manchmal als versiffte Ledercouch, manchmal auch als Zelt dargestellt wird. Dieses Setting lässt auch absurde Momente zu, wenn etwa die Heimleiterin (Elif Veyisoglu) mit ihrem Schreibtisch, an einer langen Stange von der Hilfsschwester (Antonio Lallo) geführt, über die Spielfläche kreist. Die Bühnenseiten sind einsichtig, die Spieler und Spielerinnen wie die Bühnenarbeiter agieren sichtbar. Es werden mal Masken, mal keine getragen (Randnotiz: Esslingen ist derzeit Hochrisikogebiet).
Dieses Seitengeschehen zieht oftmals das Interesse von der Bühne ab. Und das ist schade. Denn mit Lara Haucke als Biene agiert hier eine großartige junge Schauspielerin, der es gelingt, mit wenigen Andeutungen ihr Staunen über eine Welt zu zeigen, die ihr als Heimschülerin fremd ist. Sie führt eindringlich vor, wie ihr Hingezogensein zu Kurt sich von der Faszination von einer fremden, glitzernden Welt in sexuelles Begehren verwandelt. Übrigens eines der stärksten Bilder der Inszenierung: Auf Abstand stehen sich beide gegenüber, ein jeweils isolierter Regenstrahl ergießt sich über die fast nackten Körper. Sie stehen sich einfach gegenüber: zwei einsame Menschen, die in ihrem Begehren nicht zueinanderkommen können. Da gelingt es, die Klischeehaftigkeit der Handlungen in der Darstellung zu durchbrechen.
Martin Theuer spielt diesen Kurt mit seiner ganzen Massigkeit aus. Kurt hat sich in seinem Elend eingerichtet, seine Auftritte erträgt er nur mit großen Schlucken aus der Whiskyflasche. Dem Vortrag der Songs fehlt daher die Begeisterung, die Performance wirkt matt (musikalische Leitung: Frank Kuruc). Das führt Theuer routiniert vor. Merkwürdigerweise will aber kein Funke über die Rampe zünden, was wahrscheinlich anders wäre, wenn der Saal zur Gänze gefüllt sein könnte. Alle anderen Rollen sind mehrfach besetzt. Daniel Großkämper spielt etwa den schießwütigen Polizisten Leo, der am Ende die von der Heimleitung zur Fahndung ausgeschriebenen Biene erkennt, auf die Flüchtigen schießt und dabei Kurt tödlich trifft. Er überzeugt auch als Superstar Teddy Tailor oder als sabbernde Mutter von Kurt im Altenheim. Felix Jeiter führt unter anderem den Agenten Stefano Rimini als schmierige Nummer vor.
Manche Stücke funktionieren in der Panepidemie offenbar weniger gut. Mir scheint, diese Produktion gehört dazu – da helfen auch die vielen Anspielungen der Regie auf Corona leider nicht wirklich.