Zweite Station, selber Raum. Jetzt sitzen wir hinten links und der Ablauf wiederholt sich. Aber wir haben zusätzlich eine schicke, monitorgroße vertikale Blechfläche im Blick, auf die in englischer Sprache Erklärungen projiziert werden. Es geht um unsere Wahrnehmung unserer Stadt. Die soll bewusster erfolgen, wir sollen nicht nur das große Ganze, sondern auch Einzelheiten aufnehmen. Unseren Wohnort ausdifferenzieren, damit wir ihn durch die Masse an Erlebnissen stärker schätzen, uns mehr beheimatet fühlen. Oder so ähnlich. Urban Healing ist ein wiederholt im Text auftauchendes Stichwort.
Es geht in den Keller. Wir sehen – überraschenderweise – ein drittes Mal dieselbe Performance, diesmal mit dem Auge der Kamera. Dazu wird die Tonspur virtuos von Hand dosiert und alles wird behutsam live und elektronisch untermalt. Und, ja, es rücken beim dritten Mal andere Momente in den Vordergrund als beim zweiten und beim ersten Mal. Na und?
Dann geht es raus und über die Straße. Wir sieben sind nur noch sechs, einer hat Station zwei übersprungen und ist in den Keller vorangestürmt, aus Begeisterung oder frühem Überdruss. Wir stehen jetzt wahlweise vor oder in einem Kiosk gegenüber dem Haupt-Performance-Ort, dem leerstehenden Ladenlokal an der Ecke. Und warten. Bis wir die Wendeltreppe hochgehen und über dem Kiosk-Verkaufsraum auf Polstermöbeln Platz nehmen und uns Kopfhörer aufsetzen. Jetzt sehen wir auf die Bechergasse und hören ihr zu. Über dem akustischen Verkehrs- und Menschenstrom hören wir die Stimme der Schauspielerin Nicola Gründel. Hier tritt „City Pieces“ ins eigene Fangeisen. Denn Gründel spricht in jenem, wiewohl souverän und entspannt gehandhabten, hochgespannten melancholischen Ton, den man aus Geschichtsdokumentationen kennt. Das soll sachlich klingen, Platz frei machen für die Worte, klingt aber bedeutungsschwanger. Und nimmt dem Projekt seine Coolness. Plötzlich will mir jemand auf ganz konventionelle, nur dezent poetisch überhöhte Weise, etwas sagen. Das hat hier eigentlich keinen Ort und lässt die Stärke der kurzen Performance, den Appellcharakter durch Offenheit, erschlaffen. Und alles wirkt schlicht zu klein gedacht.
Dennoch haben diese 50 Minuten intensive Momente, die sonderbarer- und wohl auch kalkulierter Weise mit dem Warten zu tun haben. Am Anfang wird man bei der Gruppeneinteilung zum Getränk eingeladen. Es wird zwanglos eine Kommunikationsatmosphäre geschaffen. Und beim Warten vor dem Kiosk ist man bereits so weit, dass man jeden Taxifahrer, der mit polnischem Akzent Koffer in seinem Wagen verstaut, für einen Teil der Performance halten möchte. Oder die Art, wie Massen gängiger Spirituosen scheinbar willkürlich im Kiosk-Schaufenster angeordnet sind. Oder die skandinavische Schulklasse, die in wenigen Minuten dreimal an uns vorbeiläuft, vermutlich, weil sie den Dom nicht finden kann. Und das sind vielleicht genau jene Einzelheiten, die wir nicht als solche wahrgenommen hätten, wären wir „City Pieces“ ferngeblieben.