Ein Werk der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in all seiner sprachspielerischen Eleganz, moralischen Empörung und assoziativen Dynamik eines offen diskursiven Gedankenstromes. Eingebunden in einen Audio-Walk, einen Spaziergang in der Öffentlichkeit. Mit richtigen Schauspielern. Live! Zwar „garantiert kontaktlos“, wie es auf den Plakaten heißt, aber mit Augenkontakt im direkten Gegenüber unmaskierter Menschen. Ja, wie toll ist das denn in unseren pandemischen Zeiten, die „Prinzessinnendramen“ open air zu erleben. Das Nachdenken über Schneewittchen, Dornröschen und Rosamunde hat Paulina Neukampf für das Theater Oberhausen inszeniert. Geplant war das für die Raumbühne des Hauses, im Heimeligkeitsterror eines Wohnzimmerbühnenbildes. Nach dem bundesweiten Verbot, Theater zu spielen und gemeinsam zu proben, produzierten die Schauspieler daheim den Text in monologischen Videoclips. Sind damit aber nicht online gegangen, wie derzeit üblich, sondern suchten die Ko-Präsenz des Publikums. Und fanden glücklicherweise Behördenmitarbeiter, die nicht reflexartig jedwede Kunstdarbietung vor Zuschauern verbieten, sondern wohl etwas möglich machen wollten gegen verordnete Kulturödnis und Homeoffice-Koller.
Vor dem natürlich geschlossenen Lichtburg-Filmpalast, Austragungskino der dort natürlich abgesagten Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, geht es los. „Schneewittchen“ steht auf dem Programm, kleine grüne Kreidezwerge auf dem Boden weisen den Weg. Um Übertragung versteckter Viren durch Berührung zu verhindern, bringt jeder Besucher sein eigenes Smartphone plus Kopfhörer mit, der Download-Link für die Audio-Datei wurde mit der Ticketbuchung zugesandt. Zu zweit im Zehn-Minuten-Takt geht es auf die Reise. Hinein in eine finstere Passage, ein inoffizielles Pissoir. Hügel ausgespuckter Kaugummis und Kippen zieren den süffigen Boden, eine Distel reckt sich an der Hauswand empor, Schaufenster sind vom angrenzenden Büro der Partei Die Linke mit Parolen wie „Nicht flehen, nicht betteln, kämpfen!“ geschmückt, Kinderkunst hängt auch herum, ein Penis wurde daneben gesprayt. Bienchen und Vögel konzertieren derweil in der Soundcollage, die Schneewittchen-Stimme erzählt, nicht mehr prinzessinnenschön, märchenhaft edel und mädchenbrav ihr Glück in Form eines Prinzen zu suchen. Wahrheitssucherin will sie sein hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen. Stattdessen meldet sich aber ein Jäger zu Wort: „Ich bin der Tod und aus. Der Tod ist die ultimative Wahrheit.“