Foto: "Sieben Nächte" in Bamberg mit Denis Grafe und Clara Kroneck. © Martin Kaufhold
Text:Christian Muggenthaler, am 23. November 2019
Ein junger Mensch hat – je nun – Probleme. Es geht ums Hinterfragen des Lebensentwurfs eines offenbar der gutbürgerlichen Intelligenzia entstammenden End-Zwanzigers. Der befindet sich im moderat krisenhaften Zustand irgendwo zwischen dem Ennui eines in wohlbehütetem Umstand Großgewordenen und der Sehnsucht nach ein bisschen Romantik im Leben. Erlernt werden muss die Kunst, Feuer zu machen statt Löschdecken zu falten, wie es im Text heißt. Dieser junge Mensch glaubt, dass ihm, da er in weiträumigem Liberalismus und moralischer Wohlerzogenheit aufgewachsen ist, Leidenschaft und Abenteuer abhandengekommen sind. Er hat sich an der Freiheit überfressen.
Der Theatertext „Sieben Nächte“, den die Dramaturgin Victoria Weich aus dem gleichnamigen Roman von Simon Strauß feinsinnig herausmodelliert hat, stellt mit viel literarischer Subtilität und Bildstärke die Mut-, Rat- und Zahnlosigkeit dieses Zeitgenossen aus der sagenumwobenen Mitte der Gesellschaft in den Mittelpunkt eines Geschehens, das um sich selbst kreist. Der Text serviert auf der Studiobühne des E.T.A. Hoffmann-Theaters in Bamberg einen Typen, der irgendwie, irgendwo, irgendwann womöglich Rock ’n’ Roll sein will und doch nur mit der reichlich waschlappösen Existenzform eines Menschen hadert, der alles Lebensnotwendige im Sack hat und sich aus luxuriösen Förmchen seine Problemchen backt.
Wie kann man – trau keinem über 30 – vermeiden, in jene angepasste Bürgerlichkeit zu geraten, für die das Feld von Anfang an bestellt war? Der Text deutet es an: indem man schlicht die Rolle nicht annimmt, die einem da so hingeschrieben worden ist. Indem man die Leidenschaft sucht und eine Existenz in den ruinenartigen Restposten einer modernen Welt, die alles und jeden in Gleichförmigkeit zurechtschmirgeln will. Der in die Bibliothek gehen will statt auf Wikipedia zu surfen: Auf der Bühne steht ein konservativer Rebell im Geiste. Aber wie soll man rebellieren gegen eine Umgebung, die verdammt noch mal für alles Verständnis hat? Wo ist der Sparringspartner für dies Bürschchen?
Das ist die Frage, die sich dem jungen Mann in „Sieben Nächte“ stellt. Sieben Nächte lang denkt und schreibt er den sieben Todsünden entlang über die eigene Situation nach. Ob und wie weit die Grundsituation eines Gründelns unter der Karamellschicht des gutsituierten Daseins tatsächlich die Lebenswirklichkeit eines Gutteils der Bevölkerung trifft, darf jeder mit sich selbst ausmachen. Die Todsünden – Wollust etwa, Neid und Habgier – sind in dieser Version jedenfalls bar jeder Radikalität, die ihnen doch eigentlich zustünde, dienen allein als Auslöser wortmächtiger Nachdenklichkeit.
Zu sehen bekommt man also eher einen philosophischen Spaziergang, der es als solcher aber dank Regie und Schauspiel durchaus in sich hat. Es ist eine Spezialität des Bamberger Hauses, Prosa-Literatur geschickt zu dramatisieren. Auch „Sieben Nächte“ wird sehr erfolgreich dreidimensionalisiert, die Bühne (Ausstattung: Luisa Wandschneider) ist eine Art große Duschkabine fürs Denkbad. In diesen Kasten hinein bekommt Regisseur Alexander Ritter ordentlich Fahrt, schafft aus dem Bühnentext ein tänzelndes Duett zwischen dem jungen Mann und seiner inneren Traumspielerin, Lebensentwurfsplanerin, Reifeprüferin, die die Regel für die sieben Nächte vorgibt.
So bekommt jede Sünden-Episode den ihr eigenen Schwung, die ihr eigene Prägung. Das macht den 75-minütigen Abend kurzweilig; die Gedanken des jungen Mannes dürfen Gassi gehen. Die Regie lässt das zu, lädt ein, öffnet den Text wo immer möglich weg von der Nabelschau, hin zum Publikum. Und wird phasenweise ziemlich witzig: wie eine dramengewordene Glosse. Die beiden Darsteller helfen bei dieser Öffnung des Textes.
Denn erstaunlich und sehenswert ist vor allem die Leistung von Denis Grafe und Clara Kroneck, die die beiden Nachtgestalten präzise, scharfkantig, eindringlich und eindrucksvoll aus der Textfläche herausmodellieren. Grafe zerrt den Text mit feurigem Temperament aus seiner Schale, zerlegt ihn in greifbare Happen, präsentiert den dahinterliegenden biographischen Notstrom. Und Kroneck lässt dessen Gegenüber Szene für Szene andere Stimmungslagen zeichnen, ihnen Bedeutung gebend. Dieses Duo bildet den Fokus des Theaterabends: Es weitet den Raum des Textes aus.