Foto: Szenenfoto aus "Anything goes" mit Hope Harcourt und Daniel Prohaska am Gärtnerplatztheater © Christian Zach
Text:Wolf-Dieter Peter, am 1. März 2013
Da geht es an der Börse drunter und drüber. Da werden Gangster und „Bankster“ in Designer-Anzügen an den Kapitänstisch gebeten. Da hat sich eine ehemals verruchte Nachtclub-Lady zur christlichen Tugendpredigerin mit Pop-Star-Zügen gewandelt. Da wird in der High Society reizend kunterbunt sexuell „ausgeschwiffen“. Da werden Alkohol und harte Drogen hingebungsvoll besungen – und genossen. Also ein Stück „von heute“… nein, von 1934, aus dem New York nach der Weltwirtschaftskrise, dem damaligen Ruin vieler Werte und entsprechender Orientierungslosigkeit. Da hatte Roosevelts “New Deal“ noch nicht gegriffen, doch die Prohibition war abgeschafft, Gangster Dillinger raubte reihenweise Banken aus und stieg zum Nationalhelden auf. Vergnügliche Ablenkung und kurzzeitiges Vergessen waren angesagt. Prompt entwickelte das Theater parallel zur “Screwball Comedy“ des Tonfilms pfiffige, witzige und freche Musicals – und die aberwitzige Aneinanderreihung aller obiger Fehlentwicklungen schoss den Vogel ab: “Anything goes – Alles ist möglich“ traf ins Schwarze – 400 Folgevorstellungen, danach Revivals mit Umarbeitungen, denn weitere Cole-Porter-Songs waren zu Evergreens aufgestiegen und passten in die aberwitzige Handlungsachterbahn.
Da führt der kleine Angestellte Billy nämlich nicht den Aktienverkauf seines reichen Bosses aus, sondern folgt seiner vermeintlich reichen, daher unerreichbaren Liebe Hope und deren auf Geld-Heirat fixierter Mutter auf den Luxusliner „MS America“. An Bord treffen die aus Nachtclubverruchtheit zur Missionarin aufgestiegene Reno mit vier „Engeln“ und ihrem “Blow, Gabriel, blow“, dann der Gangster Moonface, sein heiratswütiges Girl Emma, ein verblendeter Reverend mit zwei bekehrten Chinesen und der spleenige, aber reiche englische Lord Oakley aufeinander, dazu kecke Matrosen, ein sprachverwirrter 1. Offizier und ein promi-orientierter Kapitän. Das Chaos ist angerichtet: noch vor der Ankunft sind alle Heirats- und Raubpläne gescheitert, doch die nicht verkauften Aktien haben sich zum Millionengewinn entwickelt – “Anything goes“ – und vier neu gemischte Hochzeitspaare haben sich gefunden… denn “I get a kick out of you“.
Szenenbeifall und Bravosalven: der inszenierende Intendant Josef Köpplinger hat ein Händchen für das Genre. Ausstatter Rainer Sinell ließ angesichts der begrenzten Möglichkeiten des Fröttmaninger Theaterzeltes einen vielfältig verwandelbaren Schiffsaufbau kreisen: wechselnde Kajüten, zahlreiche Treppen, Brücken und Schwingtüren boten jede Menge Slapstick-Möglichkeiten, die Köpplinger mit genauem Timing und stupender Personenregie zu einem rasanten Theaterfeuerwerk nutzte. Die pfiffige Idee, auf dem breiten Bühnenportal zusätzlich Hafenausfahrt, Freiheitsstaue, Leuchtturm, Zeppelin, Sturm, Mondnacht und Meeresweite in einem Endlos-Video vorbeiziehen zu lassen, erhöhte den Spaß noch visuell. Und dann: Daniel Prohaskas Billy mischte Unbedarftheit und Zupacken in “Easy to love“; Hopes Mutter Dagmar Hellberg und Erwin Windeggers Millionär wärmten in “Let’s do it“ ihre alte Liebe schier überbordend auf; nach englisch blassem Beginn enthüllte Hannes Muiks Lord Oakley in einer atemverschlagend virtuosen Grotesknummer seinen “Gypsy in me“; alle weiteren Figuren waren typengerecht besetzt und mit eigener Kontur gezeichnet, gipfelnd im bulligen Kapitän von Previn Moore, der dann den ersten Teil von „Night an Day“ in betörender “Crooner“-Manier, den zweiten in hoher Sam Cooke-Tonlage sang; inmitten des Trubels gab es den traumschönen Ruhepunkt, wenn Billy seinen, aber auch die in der Mondnacht stehende Matrosen ihren jeweiligen Liebesbrief “All through the night“ lesen; blondes Vamp-Zentrum des Abends aber war Anna Montanaros Reno, die Spiel, Gesang und Tanz staunenswert verschmolz. Doch nicht sie allein: die Popeye-Karikatur der Matrosen, die kess die Beine schmeißenden Nachtclub-Angels, das nahtlos integrierte Ballett, die Statisterie und den gesamten Chor des Gärtnerplatztheaters haben Choreographin Ricarda Ludigkeit und Köpplinger mal zum präzise uniform gestikulierenden, durchweg swingenden, mal steppenden, mal wirbelnden und damit die ganze Bühnenbreite wie –höhe füllenden „Show-Körper“ geformt, der das Publikum mitriss – kein Wunder, denn die Band unter dem zwar zackig in Uniform auftretenden, aber dann sehenswert „jazzy“ tanz-dirigierenden Michael Brandstätter swingte in bester Cole-Porter-Manier. Whow! Londoner West-End-Qualitäten im Münchner Norden!