Foto: Eleonora Pennacchini als Feuervogel © Andrea D'Aquino
Text:Eckehard Uhlig, am 27. Januar 2019
Die Mischung macht‘s. Die Kombination der Tanzstile aus verschiedenen Epochen hat Charme – jedenfalls in der Abfolge von klassisch inspiriertem Spitzentanz, abstrakt tänzerischer Ausdruckskraft und zeitgenössisch-urban beeinflusster Barfußmoderne. Guido Markowitz‘ neuer Ballett-Dreiteiler „Verwandlungen“, der am Pforzheimer Stadttheater seine Uraufführung erlebte, begeistert mit unorthodoxer choreographischer Phantasie. Und die wird zusätzlich von musikalischer Energie entfaltet und angetrieben.
Der erste, mit „Der Feuervogel“ überschriebene Teil hält sich an die klare Struktur des gleichnamigen Balletts von Michail Fokine, also an die russische Märchenerzählung vom Zarewitsch-Prinzen (in Pforzheim „Der Mann“), der im geheimnisvollen Garten des bösen Zauberers Kaschtschei (hier „Der Magier“) auf den Feuervogel trifft und mit dessen Hilfe die verzauberte schöne Prinzessin (hier „Die Frau“) und ihre Begleiter (hier „Das Unheil“) erlöst. Das anfangs unter einer raschelnden Plastik-Plane verborgene „Unheil“ (fünf maskierte Tänzerinnen und Tänzer in enganliegenden schwarzen Ganzkörpertrikots) füllt zunächst den nachtdunklen, mit düsteren Wolken und alten Rebstöcken im Hintergrund ausgestalteten Bühnenraum, nachdem die Plane in den Himmel gezogen wurde, und gibt zögerlich den Ring frei für die Solisten. Eleonora Pennacchini ist im schwarz-roten Federkleidchen und Kopfputz ein auch auf der Spitze tanzender, energiegeladen flügelnder Feuervogel. Der wird vom frisch und munter mit eroberungslustigem Machismo auftrumpfenden „Mann“, den Elias Bäckebjörk tanzt, kaum gebändigt. In ihrer von zarter Tanzpoesie geprägten Rolle als „Die Frau“ ist Alba Valenciano Lopez in hautfarbenen Underwear-Shorts und Bustier ein anrührend vor sich hin träumendes Mädchen. Sie und „Der Mann“ versuchen in mehrfach ansetzenden Pas de deux zueinander zu kommen. Natürlich stört „Der Magier“ (Abraham Rodriguez Iglesias) zusammen mit seinem „Unheils“-Gefolge die aufkeimende Liebesbeziehung: Ihrer eigenwillig verqueren Bewegungssprache sieht man die hinterhältigen Absichten buchstäblich an. Sie haben aber gegen das obligatorische Märchen-Happyend keine Chance. Strawinskys Feuervogel-Ballettsuite, die von der Badischen Philharmonie Pforzheim unter der Leitung von Florian Erdl mit poetischen Melodielinien oder lärmend-schrillen Akzenten passgenau eingespielt wird, sorgt für die musikalische Untermalung.
Der zweite, dem römischen Dichter Ovid und seinen mythischen Metamorphosen gewidmete Teil zu Strawinskys (wiederum von der Philharmonie ausgeführten) „Dumbarton Oaks“ ist in seiner Struktur problematischer und muss eine ganze Reihenfolge von Verwandlungssagen mit Göttern, Nymphen und menschlichen Heroen tänzerisch umsetzen. Beispielsweise verwandelt Venus ihren Liebling Adonis in eine Blume, die von Jupiter begehrte Calisto wird von der eifersüchtigen Hera zur Bärin missgestaltet, die von Apollo verfolgte Daphne erstarrt als Lorbeerbaum. Das Bühnendesign zeigt mit griechischen Vasenbildern, die auf die Rückwand projiziert werden, den jeweiligen Mythos an, genauso wie die mit prunkvollen Goldkostümen sowie applizierten Attributen (wie Hirschgeweihhörnchen für den Jäger Aktäon oder Lyra-Saiten für Orpheus) ausstaffierten Protagonisten. Die Choreographie mit sich überblendenden Soli, Duos, Trios und Quartetten vermittelt in harten Konturen bewegte Bilder und Emotionen.
Ganz ohne anekdotische Beigaben kommt der abschließende, als „Metamorphosen“ übertitelte Teil des Ballettabends, der sich nur noch erinnernd auf Ovid bezieht, mit bizarr wuchernden Ensembles daher, aus denen sich immer wieder einzelne Paare lösen. Die Akteure sind in schwarze Anzüge mit langen Hosen und Cutout-Sakkos gekleidet und setzen zu den monoton repetierten Tonfolgen der „Metamorphosis“ von Philip Glass, die Yonatan Cohen am Flügel interpretiert, metallisch silberne Tierkopfmasken auf und ab. Manche agieren auf flachen Sohlen wie tänzerische Dampfmaschinen, hampeln und zittern wie Parkinson-Patienten, erleiden epileptische Spasmen oder landen fallsüchtig am Boden. Schließlich öffnen alle ihre Münder zu lautlos-pantomimischen Munch-Schreien, was ihre Gesichter in Fratzen verzerrt. Ein prekäres gesellschaftliches Beziehungsgeflecht scheint sich krankhaft aufzulösen. In diesen Szenen leuchtet die Handschrift von Markowitz, der vom Tanztheater kommt und von seinen Ausstattern (Bühne von Philipp Contag-Lada, Kostüme von Marco Falconi) kongenial unterstützt wird, mit besonderer Intensität auf. Eine spannende und erregende Tanzinszenierung.