Foto: Szene aus Donizettis "I pazzi per progetto" an der Bayerischen Theaterakademie in München. © Martin Sigmund
Text:Wolf-Dieter Peter, am 9. November 2012
Auf ein Werk des Jahres 1830 wie auf eines von 2010 trifft zu, was als ironisch treffende Umschreibung schon seit dem 18.Jahrhundert kolportiert wird: „Das Theater ist ein Irrenhaus – und die Oper die Abteilung für Unheilbare“. Genau damit bewiesen die Studierenden der Bayerischen Theaterakademie und Musikhochschule wieder einmal ihre Ausbildungsbreite und ihr Können im Münchner Prinzregententheater.
Gaetano Donizetti hat obige Charakteristik von Theater und Oper direkt thematisiert: sein Einakter „I pazzi per progetto – Die Irren aus Vorsatz“ spielt gleich in einem Irrenhaus während eines schon drei Jahre dauernden Krieges. Dorthin flieht ein Soldat vor seinem grässlichen Vorgesetzten. Eben dieser Oberst kommt und sucht dort seine Geliebte, die deren Vormund aus Geldgier in der Anstalt „verschwinden“ lassen will. Doch die resolute Gattin des Obersts folgt ihm und spielt ihm dort die aus Trauer um den vermeintlich toten Gatten wahnsinnig gewordene Liebende vor. Dazu drei „echte“ Insassen und ein bestechend vernünftiger Arzt – das Chaos von „Ich bin verrückt und nicht verrückt“ ist angerichtet.
Dieses Faschingsvergnügen hat Donizetti noch mit sogenannten „Einlage-Arien“ für die damaligen Gesangsstars „angereichert“ – und die sonst stumm mitspielenden „echten Irren“ lieferten etwa Nemorinos Klage „Una furtiva lagrima“ gleichsam als ironischen Kommentar zur Haupthandlung der vermeintlich Irren. Dirigent Ulf Schirmer und das Rundfunkorchester boten dazu eine trefflich musizierte Basis: schön gesponnene belcantistische Melodiebögen, flinkes Parlando bis hin zu rasanten Walzen-Wiederholungen. Das meisterte das junge Solistenensemble gut, überragt von Sumi Hwangs Offiziersgattin Norina: ein schon ausgereift klingender Sopran mit strahlkräftiger Expression, der man den Schlusseffekt erschrocken abnimmt: sie erschießt alle Mannsbilder und die Nebenbuhlerin. Doch fast noch stärkeren Eindruck hinterließen Regie (Weimars Intendant Karsten Wiegand), Bühne (Bärbl Hohmann, Anika Söhnholz), Maske und Kostüm (Alfred Mayerhofer): Ein bühnenbreiter Kasten zeigt drei nach vorne offene, durch Türen verbundene „Gummizellen“ in edlem Weiß, in denen die turbulente Aktion tobte. Dabei gelang das Verwandeln Norinas aus einer noblen Dame von 1830 in eine Insassin auf offener Bühne, während die Handlung weiterlief, beeindruckend. Dann hob auch noch der ganze Kasten ab, bekam einen Mast samt Lichterkette und schwebte als „Narrenschiff“ im dunklen Raum – bravo!
Szenenbeifall auch in Oscar Strasnoys „Le Bal“: Da bereitet die hysterisch neureiche Familie Kampf einen protzigen Ball vor, um in die vermeintliche Spitze der Pariser Noblesse aufzusteigen. Wuselige Diener decken vorne, im bühnenbreiten, mit Palmen und falschen Flamingos grässlich ausgestatten „Salon“, eine Tafel für sechs Personen unter einem Lüster; eine visuelle Enttäuschung, halt die begrenzten Mittel der Theaterakademie – denkt man. Doch dann fährt die Rückwand hoch, und passgenau verlängert bis zur Brandmauer erstreckt sich eine Festtafel mit 100 Gedecken, Kerzen, Blumenbuketts und x Lüstern im weiten Bühnenraum – ein coup de theatre – bravissimo!
Leider entfaltet Strasnoys Komposition nicht gleiche Wirkung. Mit großem Orchesteraufwand vom Nähmaschinengeräusch über imitierte irische Volkslieder der Zofe, über eine Ball-Band auf der Bühne mit Charlestonklängen, über alle zeitgenössisch sprunghafte Führung der Singstimmen findet er zu wenig Charakteristischem: die rotzig sich verweigernde Teenage-Tochter bekommt für ihren Traum vom Erfolg auf dem Ball keine „andere“ Musik, ebenso wenig die überkandidelt eitle Mutter für ihren Aufstiegsträume. Leider deckte Dirigent Schirmer in der langen Salonszene die Sänger orchestral zu, so dass man für die deutschen Übertitel mehr als dankbar war. Doch allen Solisten sei hohes Engagement bescheinigt. Nur waren die visuellen Eindrücke diesmal stärker.