Text:Anne Fritsch, am 14. April 2019
Ein Junge liest in einem Buch über andere Welten, Götter und Drachen. Er träumt sich als Held in diese (Phantasie-)Welt, die in Michael Endes „Unendlicher Geschichte“ Phantasien heißt, hier „Midgard“ oder „Mittelerde“. Donald Berkenhoff, der auch Regie führt, hat die Geschichte der Nibelungen im Auftrag des Stadttheaters Ingolstadt neu geschrieben, als Phantasiereise: „Wege des Helden. Siegfried.“ heißt sein Stück, ein opulentes Epos über alte und neue Götter, Religions-, Familien- und Geschlechterkriege. Indem er die Geschichte mit einem lesenden Jungen beginnen lässt und sie so in der Phantasie verortet, muss er sich um Realismus nicht scheren, wenn es um Lavakreise, Drachenkämpfe und abgeschlachtete Freier geht.
Die alten nordischen Götter mit ihren heidnischen Bräuchen und Gesängen haben in dieser Welt Konkurrenz bekommen durch das Christentum, die neue Religion, die zwar keiner so recht versteht mit ihren lateinischen Gebeten, die aber dennoch en vogue ist in den gehobenen Kreisen des Burgunderlandes. Und so sind die Kämpfe, die sich hier abspielen, immer auch Religions- und Wertekämpfe, Konflikte einer alten Weltordnung mit einer neuen. Einer alten Welt voller Dämonen, Zwerge und Götter gegen eine neue, die nur einen Gott kennt (auch wenn der seltsamerweise dreigeteilt ist).
Hier also findet sich Siegfried wieder, Sohn eines Köhlers, der mehr werden will als ein Schmied: ein Held. Enrico Spohn spielt ihn als einen unbedarften jungen Mann, der auf Abenteuer aus ist und es mit der Ehre nicht allzu genau nimmt. In ihm lebt noch sein kindliches Alter Ego, das den Ernst des Heldenlebens immer wieder mit einem Spiel verwechselt und dadurch so manches Unheil heraufbeschwört. Ohne einen Gedanken an die Konsequenzen steigt er, der durch das Drachenblut beinahe Unbesiegbare, durch den Feuerkreis zu Brünhild. Dass das ein Ehegelübde ist, interessiert ihn erstmal wenig. Er nimmt sie sich für eine wilde Nacht, um dann erstmal wieder zu verschwinden, ohne auch nur zum Frühstück zu bleiben. Andrea Frohn spielt die Brünhild als eine Frau, die weiß, was sie will. Eine starke Frau, gefangen in einer brutalen Männerwelt. Gezwungen zu kämpfen, um nicht niedergerungen zu werden.
Berkenhoff erzählt die altbekannte Nibelungensage neu und setzt dabei auf sinnstiftende Mehrfachbesetzungen und bildstarke Effekte. So wird die weiße Bühne zur Projektionsfläche für das tosende Eismeer wie für den Rhein. Der Zwerg Alberich ist eine Puppe, gespielt von Sascha Römisch, der später auch der Gunter sein wird. Olaf Danner spielt nicht nur den Hagen, der Siegfried töten wird, sondern auch den Drachen, den dieser getötet hat – und der fortan wie eine innere Stimme in ihm wohnt, sein Handeln kommentiert und ihn beinahe in den Wahnsinn treibt. Schlagzeuger Jakob Dinkelacker und Pianist Anders Ehlin begleiten das Treiben auf der Bühne mit atmosphärischer Musik und Percussion.
Die abstrakte Bühne von Fabian Lüdicke ist so klinisch weiß, dass sie förmlich nach Blut schreit. Dieses aber wird an diesem Abend sehr dezent eingesetzt, auch wenn in Siegfrieds Heldenleben so einiges davon vergossen wird. Allein das Blut des Drachen färbt zumindest die Haut des Helden für einige Momente rot. Ansonsten dominieren die (Nicht-)Farben Weiß (für all die Heiden wie Siegfried und Brünhild) und Schwarz (für die Christen und Burgunder). So verstärkt sich der Eindruck eines Schachspiels, in dem die gegnerischen Parteien sich irgendwie fremdgesteuert Zug um Zug bekämpfen. Diese Kämpfe – ob zwischen Siegfried und dem Drachen, Brünhild und ihren Verehrern, Gunter und Brünhild und zuletzt Hagen und Siegfried – finden alle Off-Stage statt, werden mittels Mauerschau oder Botenbericht allein in Worten auf die Bühne geholt. Das ist hie und da sinnvoll, in der Wiederholung aber ein wenig enttäuschend. Ein Wort zum Mord an Siegfried, schon wird er fertig verpackt im Sarg hereingerollt. Am Ende legt sich Brünhild, diese von Männern unterworfene Frau, zu Siegfried in den Sarg. Lieber ein Ende mit ihm als ein Leben mit denen, die da nun herrschen. Der Traum vom Heldensein, hier ist er nicht gut ausgegangen, ein Alptraum. Die Königstochter in ihrem Eispalast wurde nicht gerettet, sondern geschändet. Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist keine reale. Die zugrunde liegenden Konflikte sind es wohl.